du liest gregor schmalzrieds newsletter über ai, tech und media.
ich bin freier journalist, berater, speaker und host von der ki-podcast (ARD)
SEO für Chatbots: Ein Update und eine Frage
1 WAS KOMMT NACH SEO?
Diese Frage habe ich schon einmal in diesem Newsletter gestellt – vor über zwei Jahren.
These damals: Die Industrie der Suchmaschinenoptimierung steht vor ihrem bisher größten Wandel, weil das Internet vor seinem bisher größten Wandel steht: Dank Generative AI (und auch dank TikTok).
Im klassischen Internet ist der Link das wichtigste Element gewesen – die Verbindung von einer Seite zur anderen ist das, was das Netz zum Netz macht.
Sagen wir, ich plane gerade eine Reise nach Island. Im klassischen Internet ist mein erster Schritt, so etwas wie “Reisetipps” Island zu googlen, und mich durch Ergebnisse zu klicken, verschiedene Seiten zu vergleichen, Ideen zu notieren.
Aber dieser Workflow, der für uns natürlich, teilweise sogar alternativlos erscheint, verliert gerade an Bedeutung. Aus dem Many-Click-Internet wird ein Zero-Click-Internet. Wir jagen immer seltener Ergebnisse durchs Netz. Stattdessen trägt das Netz die Ergebnisse zu uns.
Im Video- und Bildbereich ist dieser Wandel schon längst vollzogen: Die meisten sozialen Medien, insbesondere TikTok, sind heute hermetisch abgeriegelte Festungen, die einen großen Teil ihres R&Ds in die Entwicklung von noch effektiveren Lock-In-Mechanismen investieren – alles tun, damit der Nutzer nicht irgendwo anders hingeht.
Nun schickt sich Generative AI an, etwas Ähnliches mit dem Text-basierten Internet zu machen.
ChatGPT ist die fünftmeistgenutzte Website der Welt und wird bald eine Milliarde Nutzer erreicht haben. Und als Teil dieser Entwicklung übernimmt der Chatbot immer mehr Aufgaben, die klassicherweise eine Suchmaschine erledigt hätte. Deshalb bekommt ChatGPT auch mittlerweile eine Shopping-Funktion. Und eine Websuche. Gibt Antworten aller Art. Und zuletzt sprach einiges dafür, dass wir bald Werbung im Chatbot sehen werden. ChatGPT greift Google an, indem es zu Google wird.
Das funktioniert: Generative AI ist die erste ernsthafte Bedrohung für Googles Suchmaschinenmodell seit zwanzig Jahren – zuletzt sind die Zahlen der Google-Suchen im Safari-Browser zum ersten Mal seit Jahrzehnten gefallen.
Ob das wirklich eine Bedrohung für Google ist, ist unsicher – denn während ChatGPT gerade versucht, zu Google zu werden, spielt Google den Ball zurück und wird immer mehr zu ChatGPT. Googles “AI Overviews” sind mittlerweile auch bei uns breit ausgerollt. Das ist Teil einer größeren Strategie: Immer weniger Suchen enden in einem Klick auf eine andere Seite. Google wird selbst zur Festung.
Für manche Branchen droht diese Entwicklung zur Katastrophe zu werden. In der Medienbranche herrscht vielerorts Untergangsstimmung. Weniger Klicks heißt noch weniger Einnahmen heißt: es wird noch schwieriger, ein belastbares Geschäftsmodell durchzusetzen.
Aber andere Branchen sehen den Shift deutlich agnostischer: Wenn jemand eine Ferienanlage auf Island betreibt, ist ihm in erster Linie egal, wie viele Menschen tatsächlich auf seine Website klicken. Viel wichtiger ist: Wie viele Menschen lernen von und buchen bei ihm?
Und das führt uns zu…
2 SEO FÜR CHATBOTS
Wenn es Optimierung für Suchmaschinen gibt, gibt es dann auch Optimierung für Generative Ergebnisse? Also Methoden, um sicherzustellen, dass ChatGPT & Co die eigenen Produkte, Ideen und Ferienhäuser besser ranken?
Die Antwort ist “Ja”, aber auch “Es ist kompliziert”.
Das Problem fängt schon damit an, dass diese neue Marketingform noch so neu ist – wir haben uns noch nicht einmal auf einen Namen dafür geeinigt.
In meinem eigenen Text Anfang 2023 habe ich noch von “AI Engine Optimization” gesprochen, und dieser Begriff ist auch immer noch im Rennen. Doch er hat mittlerweile Konkurrenz erhalten von u.a. LLMO (Large Language Model Optimization), AEO (Answer Engine Optimization), GEO (Generative Engine Optimization), GSO (Generative Search Optimization), AIO (AI Optimization / Artificial Intelligence Optimization) und GAIO (Generative AI Optimization). Die erste Person, die aus all diesen Begriffen eine Parodie des Fanta 4-Songs “MfG” zaubert, gewinnt einen Speaking Slot auf der nächsten OMR.
Ich habe mich in den letzten Monaten für einige Projekte recht ausführlich mit AIEO (oder wie auch immer) beschäftigt. Das Spannendste daran ist, dass hier tatsächlich eine neue Optimierungsgrundlage für Marketing entsteht, die es bisher noch nicht gab – mit allen möglichen neuen Fragen und Problemen.
Eines der größten Probleme: Nicht nur die Bezeichnung ist diffus, sondern auch die Sache selbst. Beispielsweise müssen wir erst einmal klären, ob wir für das Modell selbst optimieren wollen, also GPT-4o im “Rohzustand”, oder für den Such-Agent, den GPT-4o ins Internet schickt, um auf Anfrage nach Informationen zu suchen.
Ersteres – also die Modell-Optimierung – fußt vor allem auf “Occurrences”, also der Frage, wie oft und in welchem Kontext eine Marke oder eine Idee in den Trainingsdaten erscheint. Aktualität ist zweitrangig, und oft werden Datensätze wichtig, die im klassischen SEO praktisch keine Rolle spielen (z.B. Sachbücher).
Zweiteres – also die Agent-Optimierung – ist näher dran an klassischem SEO. Hier geht es darum, Websites für einen AI-Crawler gut zu strukturieren, sodass dieser, ähnlich wie ein menschlicher Internetnutzer, möglichst schnell an sein Ergebnis kommt.
(Wer mehr über all das wissen möchte, für den bietet dieser Text von Search Engine Land einen guten Startpunkt. Wer sich für Workshops zu dem Thema (für das dieser Text hier das falsche Format ist) interessiert, kann mir auch gerne eine Email schreiben.)
Aber bevor das alles zu technisch wird… Zurück in die Realität:
Eine der neuen Entwicklungen der letzten zwei Jahre sind Websites wie productrank.ai, die automatisierte Vergleichswerte darüber anbieten, wie erfolgreich die eigene Marke bei bestimmten Suchen abschneidet.
Ich z.B. freue mich natürlich, dass der Podcast, den Marie, Fritz und ich in der ARD hosten, anscheinend der Nr 1-”Podcast zum Thema KI” ist – zumindest wenn es nach der KI selbst geht.
Anderes Beispiel, bei dem die KI absolut richtig liegt:
Und nochmal zurück zu unserem Island-Case:
Die meisten aktuellen Beiträge zum Thema AI-Optimierung (auch die sehenswerte State of the German-Internet-Keynote dieses Jahr) landen am Ende oft bei vergleichbaren Beispielen.
Und dennoch ist dieser Blick auf die Sache unfertig. Trotz all der Abkürzungen, und all der Best Practices, und jetzt auch all der Monitoring-Websites…
Ein wichtiges Puzzleteil fehlt.
3 “AN INTERNET COMMUNICATIONS DEVICE”
Die Präsentation des ersten iPhones im Jahr 2007 ist eines meiner liebsten Videos überhaupt – und ich schaue es circa einmal im Jahr komplett durch.
Einer der besten Momente passiert relativ früh – bei 1:30:
Steve Jobs kündigt an, dass er heute nicht nur eines, sondern drei Produkte vorstellen will. Einen neuen iPod (das Publikum applaudiert freudig), ein Mobiltelefon (das Publikum tost und jubelt wie verrückt) und ein “Internet Communications Device” (ein paar Leute klatschen verhalten).
Der Twist ist natürlich: Es ist alles ein Gerät. Das iPhone ist iPod, Mobiltelefon und Internet Communications Device in einem Gerät.
Aus heutiger Sicht hat das Publikum natürlich zurecht gejubelt. Das iPhone war ein revolutionäres Produkt, das die Welt verändert hat. Aber der Jubel kam an den völlig falschen Stellen: Nämlich bei dem iPod und dem Mobiltelefon – beides Funktionen, für die sich heute kaum noch jemand interessiert. Das eigentlich Revolutionäre war der dritte Teil: Eine “Internet Communications Device” für überall.
Wann immer ein technologischer Shift ansteht, neigen wir dazu, ihn durch die Linse der bestehenden Technologie zu beobachten. Das iPhone ist in erster Linie ein Phone, also bewerten wir es auch danach. Dabei sollten wir eigentlich einen ganz neuen Frame dafür finden.
Bei vielen der AIEO/AI/wie auch immer-Best Practices habe ich das Gefühl, dass ein ähnliches Missverständnis vorliegt wie beim iPhone. Klar – unser isländischer Unternehmer könnte dafür optimieren, dass ChatGPT bei “hotels in iceland” zuerst an sein Unternehmen denkt. Aber ist das wirklich der Punkt bei einer AI-Suche? Oder ist das nicht eher ein Gedanke von gestern (SEO), irgendwie in die Form des neuen Mediums (Generative AI) gezwängt?
Google zufolge sind 15 Prozent der Google-Anfragen noch nie zuvor gegooglet worden – eine Zahl, die über die Jahre erstaunlich stabil geblieben ist.
Wir kennen keine vergleichbare Zahl für ChatGPT, aber wir können uns sicher sein, dass sie um einiges höher ist. Generative AI ist das persönlichste und individuellste Massenmedium aller Zeiten – und vor allem kann es Aufgaben miteinander verbinden, auf die Google nie gekommen wäre.
Die eigentlich interessante Anfrage zu isländischen Hotels ist eben nicht “beste Hotels Island” oder “günstige Hotels Island”.
Sie ist diese hier:
In diesem Beispiel geht o3, das neue Reasoning-Modell von OpenAI, selbst auf die Jagd durchs Internet, schaut sich den Link an, den ich ihm gegeben habe, und gleicht diesen mit anderen Ergebnissen ab. Nach etwas Wartezeit erhalte ich nicht einfach eine Antwort. Sondern eine Interpretation.
Es spricht auch einiges dafür, dass die Zahl der identischen AI-Suchen unter eingeloggten Nutzern bald quasi null sein wird – weil mit jeder Suche auch immer unser persönlicher Kontext mitgeliefert wird. Das Modell merkt sich per Memory-Funktion vergangene Aussagen, und greift bei Bedarf auf sie zurück – ohne dass ich explizit danach frage.
Die Suche der Zukunft ist nicht einfach nochmal die gleiche Anfrage, aber an ein LLM statt an eine Such-Engine. Sie verknüpft stattdessen Bild, Text und Ton, Internet, Chat und Memory in ein und demselben Interface.
Die Tage des klassischen Netz sind vielleicht gezählt – aber das neue Netz, das die individuellen Archive und Anfragen seiner User zusammenspinnt, wird gerade erst geboren: Das “User-Wide-Web”.
UWW.
Noch eine Abkürzung, die sich nicht durchsetzen wird.
Schedule
Ich bin in den nächsten Wochen u.a. auf folgenden Events:
25.-27.5. TECH by Handelsblatt, Heilbronn
27.-28.5. re:publica, Berlin (Till Krause und ich erzählen, wie wir ChatGPT das “Gemischte Doppel” beigebracht haben)
20.6. Waterkant Festival, Kiel (zum Thema “AI Natives”)
Freu mich immer, wenn jemand Hallo sagt!
Außerdem hat Der KI-Podcast, den ich in der ARD zusammen mit Fritz Espenlaub und Marie Kilg hoste, ein fantastisches Crossover mit dem Münchner Rundfunkorchester vor: MULTIVERSE SYMPHONY findet am 5. Juni 2025 statt. Marie und Fritz moderieren, es wird fantastisch und es gibt noch Tickets! rundfunkorchester.de
Außerdem
Portfolio
Der KI-Podcast: Wie schützen wir uns vor Manipulation durch Chatbots? Besonders gelungene Folge von uns! :) ardaudiothek.de
Der KI-Podcast: Was machen die Mächtigen mit KI? Auch diese Folge eine warme Empfehlung. ardaudiothek.de
AI und Text / Large Language Models
Netflix is testing a new OpenAI-powered search. Macht Sinn, siehe den Screenshot oben. theverge.com
Microsoft st’s Big AI Hire Can’t Match OpenAI: Mustafa Suleyman hasn’t delivered the turnaround he was hired to bring. newcomer.co
The Leaderboard Illusion. LLM-Benchmarks sind oft unpräzise und wenig aussagekräftig. Nun deutet vieles darauf hin, dass auch die beliebte “LM Arena” leicht manipuliert werden kann. arxiv.org
MCP: The new “USB-C for AI” that’s bringing fierce rivals together. arstechnica.com
What Lovable teaches us about AI tools. Ein kleiner neuer europäischer AI Champion! engineeringprompts.substack.com
Ein ethisch sehr zweifelhaftes KI-Experiment der Uni Zürich hat auf Reddit besser mit Menschen debattiert als andere Menschen. derstandard.at
AI und Arbeit
Duolingo will replace contract workers with AI. theverge.com
The Many Fallacies of ‘AI Won’t Take Your Job, but Someone Using AI Will’. platforms.substack.com
Something Alarming Is Happening to the Job Market. theatlantic.com
AI und Bild/Video/Audio
Drei neue Suno-Tracks, die ich für eine unserer letzten KI-Podcast-Folgen generiert habe. Wer länger nicht mehr KI-Musik ausprobiert hat, könnte schockiert sein, wie gut das mittlerweile geworden ist. Hintergrund der Lyrics ist die oben verlinkte Geschichte rund um die Uni Zürich. (demo tape). suno.com (house). suno.com (hyperpop). suno.com
Testing AI's GeoGuessr Genius. astralcodexten.com
Microsoft made an ad with generative AI and nobody noticed. theverge.com
An AI-generated radio host in Australia went unnoticed for months. theverge.com
The Silent Collapse: Generative AI’s Erosion of Photo Licensing Revenue. kaptur.co
AI und alles andere
Papst Leo XIV. hat sich wegen KI so genannt. Endlich ein KI-Papst ohne Daunenmantel. golem.de
US losing edge in AI talent pool. semafor.com
A Shelter from Chaos. maried.substack.com
Tech
Immer lesenswert: Johnannes Kuhn über das neue Digitalministerium. internetobservatorium.substack.com
The one interview question that will protect you from North Korean fake workers. theregister.com
Culture
Thoughts on Sinofuturism. noahpinion.blog
Inside the hot girl economy. stephstiner.substack.com
The history of album art. matthewstrom.com
The Supercar Junkyards of Dubai. youtube.com
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