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Sprechen mit dem Internet
1 REAL LIFE → DATING-APPS
Es ist acht Jahre her, dass ich das letzte Mal eine Dating-App genutzt habe. Tinder und die Hyper-Online-Dating-Kultur war noch relativ neu, und es klebte noch ein kleines Stigma daran, jemanden “über eine App” kennenzulernen.
Ich erinnere mich noch gut an einen Satz, der damals in einigen weiblichen Bios stand: “Wir können ja sagen, wir hätten uns im Supermarkt kennengelernt.”
Wahrscheinlich war der Satz damals schon ein bisschen oll. Aber aus heutiger Sicht ist er viel mehr als das, er ist ancient history, junge Leute verstehen vermutlich nicht einmal, was damit gemeint war.
Wie auch?
In den USA sind Online-Plattformen mittlerweile für mehr als jede zweite Beziehung verantwortlich. Für Europa habe ich leider keine verlässliche Zahl gefunden; vermutlich ist sie aus kulturellen und städteplanungstechnischen Gründen etwas niedriger.
Trotzdem ist klar: Dating-Apps waren mal weird. Jetzt sind sie Standard.
2 PERSON-TO-PERSON → PERSON-TO-AI
In der aktuellen Ausgabe von “Digital Native” zeigt Rex Woodbury folgende Grafik:
Woodbury gibt zu, dass die Grafik stark vereinfacht ist (Briefe und Telefon waren schließlich auch irgendwie virtuelle Kommunikation), aber darum geht es nicht.
Es geht darum, was als nächstes passiert:
Auch hier: stark vereinfacht, und ich denke nicht, dass man hier irgendwen auf konkrete Zahlen festnageln sollte.
Aber die Richtung stimmt.
Wir haben eine neue Kommunikationsoption erhalten.
In der digitalen Welt der letzten zwanzig Jahre stellte das Internet einen Intermediär dar zwischen uns und anderen Menschen – Verlage, Autorinnen, Social Media-Influencer. Die Verwalter dieser Schnittstellen schufen damit einige der lukrativsten Geschäftsmodelle, die die Menschheit je erfunden hat: Die Google-Suche. Der Facebook-News-Feed. Der App Store.
Aber die aktuelle Generation von AI-Modellen kann diesen Weg in immer mehr Fällen überflüssig machen. ChatGPT & Co haben alle Informationen inhaliert, die die digitale Welt zu bieten hat und sind bereit, mir diese wieder und wieder ins Gesicht zu atmen.
AI bedeutet vieles. Aber in einem sehr wichtigen Sinn bedeutet AI: “Cutting out the middleman”.
Wir stolpern in eine Zukunft, in der wir nicht mehr das Internet als Intermediär benötigen, um mit anderen zu sprechen.
Wir sprechen mit dem Internet selbst.
3 GOOGLE → AI
Eine der häufigsten Fragen, die ich in Workshops gestellt bekomme, ist: “Wie schaffe ich es, den Antworten der AI zu vertrauen?” Die Sorge vor Halluzinationen ist groß, und das auch zurecht.
Darauf gibt es zwei Antworten:
Die eine versucht, technische Hilfestellungen zu geben. Es gibt z.B. bestimmte Themengebiete und typische Prompts, bei denen Halluzinationen öfter auftreten: aktuelle Sachverhalte, mehrdeutige Begriffe oder Namen, oder die Suche nach historischen Beispielen für bestimmte Ideen zum Beispiel (wenn man GPT-4o* etwa sagt “Gib mir 5 Beispiele für historische Personen, die Angst vor Statuen hatten”, wird GPT-4o sich almost certainly fünf Geschichten ausdenken).
*Side Note: GPT-4o ist in Sachen Halluzinationen meiner Erfahrung nach ein Rückschritt gegenüber dem Vorgängermodell GPT-4 und ich bin seit dem Release größtenteils immer noch lieber in GPT-4 unterwegs
Aber die andere Möglichkeit, einem LLM zu vertrauen, ist schlicht und einfach, es möglichst viel zu benutzen. Ein LLM ist wie ein zerstreuter Kollege. Irgendwann bekommt man ganz von allein ein Gefühl dafür, bei welchen Anfragen es ins Straucheln gerät, wo wir besser noch einmal nachprüfen und welche Antworten man auch gerne so nehmen kann, wie sie kommen.
Der Punkt ist: Je mehr man mit LLMs arbeitet, desto besser wird man darin, sie als Google-Ersatz zu benutzen. Und wenn man das einmal draufhat, dann will man nicht mehr darauf verzichten.
In sehr vielen Lebenslagen schlagen Chatbots heute schon klassische Suchmaschinen.
Hier ein 100% reales Beispiel aus meinem Alltag:
Von “Ich weiß nichtmal wirklich was das Problem ist” zu “Problem gelöst” in einer Minute. Ganz ohne Halluzinationen. Oder das Klicken durch zehn Internet-Foren – jedes mit seinem eigenen Cookie-Banner.
Folgende Erfahrung kann ich komplett unterschreiben:
Google ist dieses Problem wohl bewusst – ansonsten hätte das Unternehmen auf seiner großen AI-Konferenz letzte Woche nicht alles versucht, um einen neuen Slogan zu prägen:
Generative Search – die Google-Suche der Zukunft – soll Informationen direkt synthetisieren und so zusammenfassen, dass sie als hilfreiche Informationsbites zur Verfügung gestellt werden.
Je nachdem, welchen Kaffeesatzleser man fragt, werden 10 bis 30 Prozent des klassischen Google-Such-Traffics in Zukunft an AI-Modelle und Agenten-Systeme wandern.
Ich will mich am Kaffeesatzlesen ungern beteiligen. Ich weiß nur – bei mir persönlich sind die 30% schon erreicht. Ich google heute merklich weniger als früher.
Wenn diese Entwicklung auch anderswo ankommt, dann bedeutet das auch, dass das Netz sich ändern wird. Das ist nichts völlig Neues – ich habe zum ersten Mal im März 2023 über dieses Thema geschrieben (siehe diesen Text “Was kommt nach SEO?”).
Aber die Formen der Veränderung werden allmählich klarer: Wir werden weniger umher klicken. Wir werden mehr synthetisierte Informationen erhalten. Wir werden völlig neue Methoden sehen, Marken und Ideen zu platzieren (“SEO für LLMs” ist eines der spannendsten Felder überhaupt gerade).
Kurzum: Wir werden weniger mit Menschen und Marken selbst sprechen. Und mehr mit dem Internet.
Ein mögliches Interface dafür wurde auch letzte Woche vorgestellt: OpenAIs neues Voice-Interface (das verdächtig klingt wie Scarlett Johansson) lässt die AI spukhaft menschlich klingen. Die AI kichert, sie zögert, sie lässt sich unterbrechen… GPT-4o ist ein sprechendes Internet, programmiert darauf, zu flirten.
Es gibt jede Menge gute Gründe, Tools wie diese kritisch zu sehen (z.B. wissen wir, dass Chatbot-Gespräche Meinungen beeinflussen können).
Und es fühlt sich auch immer noch abgrundtief seltsam an, einem Menschen dabei zuzusehen, wie er sich von einem kichernden Voice-Interface Outfit-Tipps geben lässt. Es ist einfach weird.
Aber hey, das waren Dating-Apps auch einmal.
Ich bin in nächster Zeit als Speaker oder Workshopleiter bei u.a. folgenden Events:
#SocialCariMedia. Siegburg, 6.6. caritas-digital.de
Transforming Media. Würzburg, 10.6. transformingmedia.de
Media Lab Innovation Festival. München, 12.6. media-lab.de
Waterkant Festival. Kiel, 14.6. waterkant.sh
1E9 Festival der Zukunft. München, 29.6 (Live-Ausgabe von “Der KI-Podcast”!). festival.1e9.community
Interaktiv-Barcamp #meko24. München, 2.7. interaktiv-muc.de
Freu mich über Hallosagen vor Ort!
Außerdem
Portfolio
Der KI-Podcast: Wie “woke” sollte KI sein? ardaudiothek.de spotify.com
AI und Text / Large Language Models
Forscher bauen mit Absicht die toxischste AI der Welt. livescience.com
Lehrkräfte sind nicht so gut darin, KI-generierte Inhalte zu erkennen, wie sie denken. sciencedirect.com
Normalerweise covere ich hier keine Product Releases, aber Claude 3 ist jetzt endlich in Europa verfügbar. Meiner Erfahrung nach das aktuell beste LLM, um akkurat mit längeren Texten zu arbeiten, sowie für menschlich und natürlich klingende Sprache. anthropic.com
AI und Arbeit
Newsweek is making generative AI a fixture in its newsroom. niemanlab.org
AI-Einsatz beim Pharma-Riesen Moderna. Am Interessantesten: Viele der spannendsten Anwendungen sind nicht unbedingt Pharma-spezifisch, sondern ganz normale Erleichterungen im Büroalltag. wsj.com
Übersetzer und Illustratoren verlieren mittlerweile in deutlich messbaren Mengen Aufträge an AI-Tools. GenAI ersetzt erstmal keine Jobs, drückt aber – zumindest im Kreativbereich – die Preise. societyofauthors.org
Trotz Sorgen um kulturellen Backlash gehört der Einsatz von AI-Tools in Hollywood mittlerweile zum Standard. hollywoodreporter.com
AI und Bild/Video/Audio
Adobe arbeitet an der Integration von OpenAIs Video-Modell Sora. Die große UI-Frage der nahen AI-Zukunft wird, ob Nutzer für diese Technologien eher ein neues Interface bevorzugen (der OpenAI-Weg) oder einfach ihre bisherigen Tools mit AI aufgemotzt haben möchten (der Adobe / Google-Weg). theverge.com
Captchas werden immer schwieriger – weil AI immer besser wird.. t3n.de
Ein Vladimir Putin-Biopic mit einem Deepfake-Putin in der Hauptrolle wurde beim Festival in Cannes vermarktet. hollywoodreporter.com
Filmmaker Paul Trillo über Sora in Hollywood. businessinsider.com
Scammer haben einem Unternehmen mit Voice-Fakes weisgemacht, sie würden mit einer BBC-Moderatorin zusammenarbeiten. AI-Crime is just beginnnig. theguardian.com
AI und alles andere
Heiße Buchempfehlung: Overload – ein Buch über die anstehende AI-Medienflut, von meinem Brand Eins-Kollegen und sehr geschätzten Gegenwartssezierer Holger Volland. rowohlt.de
Ideen für neue AI-Designformen. designlobster.substack.com
Aus der Reihe an Versuchen, in denen GPT-4 auf Menschen-Niveau Aufgaben löst: GPT-4 im Analysieren von Augenkrankheiten. ft.com
Sammlung ähnlicher “AI schlägt Menschen”-Cases. newatlas.com
Ein Projektaufruf, AI anders als mit den ewig gleichen Roboterbildern zu illustrieren (100% support). betterimagesofai.org
Über den AGI-Begriff und was er uns eigentlich bringt. interconnects.ai
Die digitale Revolution erfordert ein Umdenken in der Schule. heise.de
AI-”Slop”-Content verstopft Metas Plattformen. fastcompany.com
Ein Projekt zur Erkundung ethisch einwandfreier Trainingsdatensätze. source.plus
Tech
Verboten oder nicht – TikTok hat die Kultur für immer verändert. nytimes.com
Creator Economy-Startups sind gelassen über den möglicherweise anstehenden TikTok-Bann in den USA, weil man quasi dieselben Sachen genauso auf anderen Plattformen machen kann. techcrunch.com
How TikTok lost the war in Washington. wsj.com
Über den Power Struggle zwischen Big Tech und der Europäischen Legislative. eff.org
Anxiety-auslösendes Kunstprojekt, das einfach nur akkurat darstellt, wie Websites heutzutage aussehen. how-i-experience-web-today.com
Fake-Livestream-Apps täuschen vor, man hätte ein virales Publikum, das einem gerade zuschaut. 404media.co
Side Quests
A big little idea called legibility. ribbonfarm.com
There’s no such thing as orange. youtube.com
Billie Eilish - Chihiro. youtube.com
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