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Wer hat Angst vorm Internet?
Das beste Popalbum 2021 kam von der schottischen Synthpop-Band CHVRCHES.
Das Album SCREEN VIOLENCE stellt einen einigermaßen genialen Zusammenhang her. Es verbindet nämlich die typischen Synth-Sounds von Slasher-Filmen aus den 80ern mit aktuellen Texten über Social Media, das Internet und Selbstdarstellung auf Bildschirmen. Es erzählt die Bildschirmgewalt von heute (Identitätsverlust, Paranoia, Einsamkeit) über die Klang- und Bildsprache der Bildschirmgewalt aus den 80ern (gruseliger Mann mit Messer jagt junge Frau durch Wald).
Im Song Final Girl nutzt Songwriterin Lauren Mayberry den Trope des “Final Girl”, der letzten Überlebenden im Horrorfilm, um über sich selbst als Überlebende der digitalisierten Musikindustrie zu erzählen. Dabei geht es nicht darum, dass sie literally in Lebensgefahr sein könnte. Sondern (so wie ich das lese zumindest) um die Frage, ob das Leben, das sie digital darstellt, überhaupt noch ihr einiges ist. Ob sie sich auf dem Bildschirm überhaupt noch selbst erkennt.
In the final cut
In the final scene
There's a final girl
Does she look like me?
Verwebungen zwischen Horrorgeschichten und dem Internet haben eine lange History, von gemischter Qualität. Mittlerweile sorgt diese aber immer öfter für fantastische Geschichten — insbesondere im Horrorkino.
Aus einer Tradition von eher unkreativen Filmen wie fear dot com und Chatroom sind in den letzten Jahren auch sehr gute und kluge Werke entstanden: Cam ist ein kreativer Horrorthriller über einen übernatürlichen Identitätsdiebstahl. Host ist als horrorgewordener Zoom-Call der wahrscheinlich beste Corona-Film von allen. Und sogar Bo Burnhams Comedy-Special Inside hat seine stärksten Momente, wann immer er den klaustrophischen Horror der Internet-Isolation erzählt (und wurde sogar im gleichen Haus gedreht wie der Horrorklassiker A Nightmare on Elm Street). Dazu kommen großartige Kurzfilme, Bücher und Kurzgeschichten, die sie mit vergleichbaren Themen beschäftigen.
Guter Horror über das Internet verfolgt meist ein zentrales Motiv, nämlich das, was man auch als “Halbdistanz des Internets” bezeichnen könnte. Wenn wir im Internet sind, dann sind wir einerseits da, und andererseits fern. Jedes schnelle Checken von Social Media ist eine temporäre Flucht von der physischen in eine Zwischenwelt, in der wir einerseits ganz für uns sind, aber gleichzeitig umgeben von undeutlichen Gestalten.
We engage in the digital commons through glowing, personal portals, shut off from the physical world around us. When we engage with our devices, our brain creates a psychological gap between the online world and the physical world. We shift into a state of perceived anonymity. Though our actions are visible to almost everyone online, in our primitive monkey brains, when we log in, we are all alone.
Jesse Weaver — A Unified Theory of Everything Wrong with the Internet
Wirklich gute Gruselgeschichten über das Internet verstehen, dass das Unheimliche am digitalen Raum nicht etwa die Sorge ist, dass jeden Moment ein gruseliges Bild von einer Hexe auf unseren Bildschirmen auftauchen könnte. Das Unheimliche ist eben diese “psychological gap”, die Zwischenwelt, in die wir uns mit jedem Online-Kontakt begeben. Menschen sind da, aber sie sind auch nicht da. Wir können sie hören, aber nicht berühren. Das Versprechen, dass das Internet die Welt zu einem “globalen Dorf” machen würde, ist wahr geworden. Was damals nicht gesagt wurde: Es ist ein Dorf voller Gespenster.
Dass hier die “wahren” Gefahren des Internets liegen, ist für den gesellschaftlichen Mainstream eine relativ neue Erkenntnis. Internet- und Social Media-Kritik hat in Deutschland zwar eine sehr stolze Tradition. Nur war diese noch vor zehn Jahren damit beschäftigt, hundsbescheuerte Fragen wie “Werden unsere Kinder dumm, wenn sie alles googlen können und sich deswegen nichts mehr merken müssen?” zu diskutieren.
Die Denkweise, mit der der damals sehr präsente Manfred Spitzer und seine Geistesgenossen damals wochenlang Talkshows gefüllt haben, ist in Deutschland auch heute noch sehr präsent. Hauptsächlich weil sie eine einfache Handlungsanweisung fordert: Internet macht dumm → Internet ist Gift → Internet sollte man vermeiden.
Weil das aber leider nicht geht, hat man über das letzte Jahrzehnt begonnen, in Deutschland zweigleisig zu fahren: Im gesellschaftlichen Mainstream nutzt man zwar alle populären Dienste, verweigert aber nach Möglichkeit jeden differenzierten Diskurs über diese Dienste, denn über Gift muss man ja nicht diskutieren. Die Produkte der großen amerikanischen Tech-Konzerne werden natürlich genutzt, ohne geht es ja nicht. Aber man betrachtet diese nicht als Werkzeuge oder als Industrie (die man aktiv gestalten könnte), sondern eher als Naturkatastrophen, mit deren Folgen man sich arrangieren muss. Man jammert alle paar Tage darüber, dass es kein “europäisches Google” gibt, hält aber gleichzeitig den einzigen europäischen Internet-Riesen der Social-Ära, der übrigens komplett ohne windigen Datenhandel auskommt, für the worst of the worst (Spotify).
German Internet Angst ist oft weniger die Angst im Internet, und mehr die Angst vor dem Internet selbst. Deutschland ist das Final Girl, das ängstlich durch den Wald tapst, und tapfer versucht, den Killer Internet durch Regulierung und moralische Ablehnung in Schach zu halten.
Ein besonders schauriges Beispiel dafür ist die aktuellste deutsche Online-Gruselgeschichte: Nachdem es in einigen Schulen in Deutschland zu Fällen von Brandstiftung gekommen ist, scheinen die Menschen landauf landab davon überzeugt zu sein, dahinter stecke eine “TikTok-Challenge”. Zwar gibt es bislang keinerlei Beweise, dass eine solche Challenge überhaupt existiert und niemand hat bisher irgendwelche viralen Inhalte von Schulbränden identifizieren können, aber die Story passt einfach zu gut ins Bild, um sie zu ignorieren.


Ein besonderes Goldstück ist folgender Absatz in einem Artikel, der in der Überschrift von einem “gefährlichen TikTok-Trend” fabuliert und eine lodernde Feuersbrunst als Artikelbild zeigt.
„Es ist nun Gegenstand der Ermittlungen zu hinterfragen, ob eine Verbindung zwischen dem Brand und dem TikTok-Trend besteht“, erklärt Daniel Ruß, Pressesprecher des Polizeipräsidiums Unterfranken, auf Nachfrage von inFranken.de. Die Polizei sehe zwar keine konkrete Verbindung, da die Vermutung aber beispielsweise in den Medien aufkam, gehen die Ermittler dem Verdacht nach.
Gruselgeschichten gehören zum kulturellen Austausch dazu. Ich selbst schaue jährlich ca 50 Horrorfilme und verstehe das recht gut.
Aber es gibt richtige Angst und es gibt falsche Angst. Mit der falschen Angst landen wir schnell bei Moral Panics und Elternhysterie. Und mit der richtigen… Damit bauen wir uns möglicherweise eine bessere Zukunft. Oder wenigstens ein verdammt gutes Popalbum.
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