heute schreibe ich zum ersten mal über mein größtes projekt der letzten 12 monate: ich habe eine kleine podcast-produktionsfirma gegründet.
denn heute erscheint ihre zweite produktion:
mia insomnia ist eine ard-mystery-serie über eine podcasterin, die einem alten detektivhörspiel aus ihrer kindheit auf den grund gehen möchte. denn aus irgendeinem grund ist sie die einzige, die sich an die schaurige folge namens insomnia erinnert — der ganze rest der welt scheint sie vergessen zu haben. aber wie kann das sein?
mit julia gruber als podcasterin mia und bastian pastewka als hörspieldetektiv boris.
alle folgen von mia insomnia sind seit heute verfügbar. hört rein!
Warum Audio?
Anfang 2015 habe ich zum ersten Mal einen Podcaster live getroffen. Einer der Hosts eines meiner liebsten Popkultur-Podcasts zu der Zeit suchte eine Wohnung zur Zwischenmiete in München, ich suchte zufällig gerade einen Zwischenmieter für meine Wohnung, bing-bong, alles passte zusammen.
Der Podcaster tauchte vor meiner Tür auf. Er: super nett. Ich: super Fan. Das Gespräch: super awkward. Ich cringe heute noch, wenn ich daran zurückdenke.
Erst Wochen später kam ich darauf, warum sich das Treffen so schlimm angefühlt hatte: Er hatte mit mir gesprochen, als wären wir Fremde. Was wir auch waren. Nur hatte ich mich nicht so verhalten, und mit ihm gesprochen, als wären wir seit Jahren befreundet. Denn so hatte mein Unterbewusstsein ihn eingeordnet. Ich hatte jahrelang an Plaudereien mit diesem Mann zugehört. Natürlich war er ein Freund. Was denn sonst?
Parasoziale Beziehungen gibt es in jedem Medium. Aber Audio ist besonders. Denn Fernsehen und Film setzen Menschen auf ein Podest. Podcasts setzen sie neben uns.
Die visuellen Massenmedien des 21. Jahrhunderts wurden vor allem von Larger than Life-Persönlichkeiten geprägt. Von Superhelden, Actionstars und Reality TV-Protagonisten mit genug Persönlichkeit für zehn Menschen.
Aber wer dominiert im Audio-Bereich? Drei Jungs aus Rocky Beach, die ganz ohne Superkräfte Rätsel lösen. Comedians und Promis, die offen private Storys und Behind the Scenes-Anekdoten auspacken. Und True Crime-Fans, die sich mit heißem Tee in der Hand über unheimliche Kriminalfälle gruseln.
Audio, und vor allem Podcasts, sind wahrscheinlich das intimste Massenmedium unserer Zeit. Anders als klassisches Radio hören wir Podcasts meist nicht über Lautsprecher — wir lassen sie per Kopfhörer direkt in unseren Kopf. Und hier liegt das magische Moment. Das, was dazu führt, wir Podcasthosts wie Freunde sehen. Das, was Audio so wertvoll macht.
Medieninhalte, insbesondere digitale, sind immer stark von Plattformen und Infrastruktur abhängig. SEO hat die Art verändert, wie Texte geschrieben und formatiert werden. YouTube und TikTok haben die Art verändert, wie Videos produziert werden.
Nur Podcasts sehen irgendwie immer noch so aus wie vor zehn Jahren.
In einer Zeit von endlosen Hype-Zyklen und Innovationsversuchen wirken Podcasts heute beinahe anachronistisch. Das Konzept “zwei bis drei Menschen unterhalten sich in lockerem Tonfall” ist immer noch ungeschlagen (der Podcast, dessen Host vor acht Jahren in meiner Wohnung stand, existiert heute nach wie vor, inhaltlich unverändert). Auch Storytelling-Formate klingen immer noch meist wie This American Life, ein Format, das seinen Ursprung in den 90ern hatte. Und sogar das Wort Podcast, ursprünglich eine Referenz auf den iPod, hat seinen Namensgeber überlebt.
Es ist nicht so, als hätte niemand versucht, daran etwas zu ändern. Es gab in den letzten Jahren zwei große Versuche, Audio groß neu zu denken: Social Audio (Clubhouse) und Voice-Assistenten (Alexa). Beides gerade etwas am Kriseln.
Nur Podcasts geht es weiter ziemlich gut. Jedes Jahr hören mehr Menschen Podcasts. Sie hören länger Podcasts. Sie hören bessere Podcasts. Nur eben (Corona ausgenommen) ohne sprunghafte Anstiege. Sondern allmählich. Schritt für Schritt. Podstars-Geschäftsführer Vincent Kittmann sagte neulich im Subscribe Now-Podcast, dass er genau deshalb die Begriffe “Trend” und “Hype” bei Podcasts vermeidet. Es stimmt natürlich: Trends und Hypes gehen vorbei. So eine Bewegung ist bei Podcasts bislang nicht abzusehen.
Die Hype-Zyklen anderer Medien-Formate lassen sich nur schlecht auf Audio anwenden. Immer wenn es versucht wird, sind die Ergebnisse schlecht bis mittel, und reichen von Clubhouse bis zu der eigenartigen Phase vor ein paar Jahren, als Podcastfirmen wie Gimlet Media in den USA zu gigantischen Bewertungen verkauft wurden (aus heutiger Sicht so mittelsinnvoll).
Die spannendsten Entwicklungen im Podcast-Markt der letzten Jahre waren kleine Geschichten unter dem Radar:
Plattformen wie Podimo und Audible zeigen, dass es ein Interesse an Paid-Abo-Modellen für Audio gibt
Plattformen wie Apple und Spotify erproben mittlerweile ernsthafte Bezahlmethoden für Podcasts in ihren Apps
Massive Software-Fortschritte machen den Schnitt und die Produktion professioneller Audio-Produkte einfacher als je zuvor
Podcast-Ads sind von Kuriositäten zu einer etablierten Industrie geworden
Eine TV-Serie basierend auf einem Podcast hat den Deutschen Fernsehpreis für die Beste Serie gewonnen
Brands wie DC Comics vermarkten zum ersten Mal seit über einem halben Jahrhundert wieder Audiocontent
Nimmt man das zusammen mit erwartbaren Entwicklungen der nächsten Jahre…
Produktionsunterstützung durch KI-Tools
Endlich eine saubere Lösung für Musik-Lizensierung in Podcasts (fingers crossed)
Weiter steigende User-Zahlen, vor allem unter älteren Menschen
Mehr Awareness für “alternative” Podcastformate, z.B. im Fiction-Bereich
…gibt es kaum einen Medienzweig mit so viel Potential wie Audio.
Weil wir wissen, dass es funktioniert. Weil wir wissen, dass das Publikum Lust darauf hat, sowohl in der Breite als auch in der Nische. Und weil, obwohl das Podcast-Jahr 2023 vermutlich etwas nüchterner wird, die Branche immer noch untermonetarisiert ist.
2019, am Ende des letzten Jahrzehnts, nannte Netflix-CEO Reed Hastings den seiner Meinung nach größten Konkurrenten für Netflix: Nicht HBO. Nicht Disney. Sondern Fortnite — das Battle Royale-Videospiel.
Der Rest des noch anstehenden Jahrzehnts wird medial geprägt sein von dieser Auseinandersetzung. Video, Gaming und Virtual Reality kämpfen mit aller Macht um Aufmerksamkeit, zerfleischen sich mit immer besseren Algorithmen, immer direkteren User Experiences, immer härteren Metriken. Wer gerade auf TikTok ist, der kann nicht Netflix schauen. Wer gerade Netflix schaut, der kann nicht Fortnite zocken (er kann es im Hintergrund laufen lassen, aber davon hat Netflix nicht so viel). Und so weiter.
Nur: Egal, was die Tech-CEOs der Welt sich vorstellen… Wir werden nie unser ganzes Leben vor Bildschirmen verbringen. Wir werden immer Wäsche aufzuhängen haben, immer Auto und Bahnfahren müssen, immer beim Paket-Abholen in der Schlange stehen, immer Puzzeln, immer Spazierengehen und immer ab und zu Ruhe brauchen von dem permanenten Reizbombardement der digitalen Welt.
Anders gesagt: Wir werden immer Platz haben für gutes Audio. Und für all die falschen Freunde, die uns in unseren Kopfhörern begleiten. Bis sie sich anfühlen, als wären sie echt.
Links zum Thema
storyblond (die sehr minimalistische Website meiner Podcast-Produktionsfirma, die nur aus mir besteht). storyblond.de
Mia Insomnia (ARD). Eine Audio-Serie von Gregor Schmalzried, mit Julia Gruber und Bastian Pastewka. ardaudiothek.de
Flüsterwelt (Podstars by OMR). Eine Audio-Serie von Gregor Schmalzried, mit Isabella Wolf und Cristina do Rego. lnk.to
Außerdem
KI
Kann Künstliche Intelligenz gute Hausarbeiten schreiben? br.de
Wie Künstliche Intelligenz Kunst & Gaming verändert. br.de
AI Art and the Problem of Consent. artreview.com
The Real Danger Of ChatGPT. youtube.com
This Virtual Twitch Streamer is Controlled Entirely By AI. vice.com
Stories
I wrote a story for a friend. theeggandtherock.substack.com
We Finally Watched Nukie: The VHS Grading Video. youtube.com
Disney Channel's Theme: A History Mystery. youtube.com
Content
The porn-friendly era of the internet is over. theguardian.com
The spectacular collapse of CryptoKitties. spectrum.ieee.org
6 global creators who broke through in 2022. restofworld.org
The Instagram Reels Gold Rush. newyorker.com
„Thomas Mann hätte sich eher beide Hände amputieren lassen, als zu twittern“ – Felix Lindner über @DailyMann. dirkvongehlen.de
Fandom
The Indie Author Who Faked Her Own Death Shook The Online Book Community With A Truly Wild Plot Twist. buzzfeednews.com
Menschen und Maschinen
How did a dating app become my longest running relationship? thecut.com
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