du liest cool genug, gregors newsletter über digitale kultur.
Vor einem Jahr habe ich in diesem Newsletter sieben Tech-Vorhersagen für das Jahr 2022 veröffentlicht. Das Ergebnis war… durchwachsen. Der Text ist hier verlinkt und ich würde ihn folgendermaßen auswerten:
1. Wahr (Instagram, Reddit). 2. Wahr (Truth Social, Twitter). 3. Falsch. 4. Steht noch aus. 5. Wahr (wenn auch in etwas anderer Form als ich mir das vorgestellt hatte — die großen Fiction-Storys auf TikTok waren vor allem Worldbuilding-Experimente wie Listenbourg, Dabloons und Goncharov. 6. Falsch. 7. Falsch.
Einerseits hatte ich absichtlich ein paar ziemlich abwegige Fun-Prognosen in der Liste, anderererseits kann ich mit einer 50/50-Erfolgsquote nicht wirklich zufrieden sein.
Better luck next year!
Sieben Vorhersagen für 2023
1. Am Ende des Jahres reden wir über Mixed Reality
Jedes Jahr hat das Tech-Thema, über das zum Jahresende alle sprechen und das deswegen in den Vorhersagen für das nächste Jahr viel auftaucht. Ende 2021 war es Krypto. Ende 2022 ist es generative KI.
Nächstes Jahr wird es Augmented/Mixed Reality sein.
Zugegeben, diese Prognose ist zu quasi 100% an die Frage geknüpft, ob Apple es 2023 endlich schaffen wird, sein AR-Headset zu veröffentlichen. Apple ist für diese Technologie sehr gut positioniert — sowohl technologisch als auch kulturell. Sollte das Headset endlich auf den Markt kommen, könnten wir zum ersten Mal ein klares Bild davon haben, wie Mixed Reality-Technologie für den Massenmarkt aussieht.
2. Vertikale Generative KI
Generative KI ist großartig. Man kann damit Krimis schreiben, Bilder malen und noch viel mehr. Aber wenn ich “man” sage, dann meine ich damit “Leute wie ich, die Freude oder ein berufliches Interesse daran haben, sich damit zu beschäftigen”. Denn die Learning Curve dieser Programme ist immer noch ziemlich hoch — sie sind keine Massentechnologie. Das ist teilweise Absicht (OpenAI verliert durch die freie Verfügbarkeit von ChatGPT jeden Tag Millionen), teilweise fehlen aber einfach die Kontaktpunkte zwischen den Entwicklern der Software und den Menschen, die sie tatsächlich in ihrem Arbeitsalltag einsetzen können.
Die wirkliche Chance liegt deshalb erst einmal in vertikaler Software, d.h. in Software, die sich auf eine bestimmte Branche konzentriert und sich dort an verschiedenen Punkten in die Produktionskette schaltet.
Das könnte bedeuten: Software für Anwaltskanzleien, Marketing-Agenturen, Filmemacher, Android-Developer, akademische Forscher, und so weiter. Solche B2B-Lösungen mit KI-Unterstützung werden 2023 eine viel größere Rolle spielen als Diskussionen über ChatGPT als “Google-Killer”.
3. Mehr BeReals
Meine beste Prognose 2022 kam leider nicht zum Jahreswechsel, sondern mittendrin:
BeReal ist mehr als das nächste Clubhouse.
Ich habe vor ein paar Tagen zum ersten Mal Heiligabend-BeReals durchgescrollt. Weiß ich sicher, dass ich das nächstes Jahr noch einmal tun werde? Nö. Aber die Wahrscheinlichkeit dafür ist seit diesem Tweet enorm gestiegen. BeReal hat seit August nichts an Coolness eingebüßt und funktioniert nach wie vor super.
Vor allem aber: Selbst wenn ich nächsten Heiligabend nicht mehr auf BeReal bin… Dann wahrscheinlich auf irgendeiner anderen App, an die ich jetzt noch nicht mal denke.
Die Zeit der Social Media-Monolithen von Meta, Google und Twitter ist vorbei. Eine neue Zeit hat begonnen. Wir werden mehr Experimente sehen, mehr Hype-Apps, mehr Formen des digitalen Austauschs. Und es wird uns ganz gut tun.
4. Schlechte Zeiten für billige Klicks
Hier kommen diverse Faktoren zusammen:
Die schlechte Wirtschaftslage (auch global, aber vor allem in Deutschland). Egal, wie die sich genau äußert, ob in Inflation, Konkurswellen, weiterem Schrumpfen der ohnehin strauchelnden deutschen Wirtschaft…
Ad-Targeting wird immer schwerer, dank Apple (das selber mit Daten handelt, aber nicht will, dass andere es tun) und dank der EU (in Form des Digital Market Act und Digital Services Act)
Generative KI droht, den digitalen Markt mit billigem Massencontent zu überfluten
Wer in dieser Lage besonders zu kämpfen haben wird: Digitale Businesses, die vor allem Klicks-um-jeden-Preis sammeln (viele Influencer, SEO-Farmen),
Wer in dieser Lage vielleicht durchkommt: Digitale Businesses, die in enge Beziehungen zu ihrem Publikum investiert haben (Publisher mit Communities, Love Brands),
5. Mehr komisches Verhalten bei jungen Leuten
Wer im Jahr 2023 in Deutschland seinen Schulabschluss macht, der…
leidet unter der Wohnungsnot und hohen Mietpreisen (außer die Eltern sind reich)
hat so viel Aussicht auf ein Eigenheim wie Aussicht auf einen Trip zum Mond (außer die Eltern sind reich)
muss mit Eintritt ins Berufsleben doppelt bis dreifach so viele Rentner finanzieren muss wie seine Eltern damals und wird deshalb finanziell massiv zu kämpfen haben (außer die Eltern sind reich)
wird in einer Welt erwachsen, die gezeichnet ist durch Klimawandel, Krieg, Dauerkrise und die Bedrohung durch autoritäre Mächte im In- und Ausland (sogar wenn die Eltern reich sind).
Angesichts solcher Aussichten ist das bisschen Festkleben in deutschen Innenstädten noch fast zahm.
Jungen Menschen wird von der Gesellschaft keine Perspektive mehr geboten. Deshalb werden in der Jugendkultur auch immer weirdere Dinge passieren — und das nicht nur am politisch linken Rand.
6. Web3-Projekte ohne Web3-Branding
Meine Perspektive zu Web3, NFTs, DAOs, Blockchains, etc war immer in etwa diese: Die Technologie ist cool, aber sie ist noch nicht bereit für den Massenmarkt.
Der Versuch der Kryptobranche, trotzdem in den Massenmarkt zu drängen, hat das Jahr 2022 zu einem Hindenburgischen Chaos für die Branche gemacht. 2022 war eindeutig ein Kryptoblutbad.
Ich habe in ein paar meiner Texten “Aus Prinzip”-Kryptogegner kritisiert, die grundsätzlich jedes Projekt nur wegen ihrer Assoziation mit der Technologie ablehnen. Gleichzeitig hat 2022 aber verdeutlich: Die Krypto-Branche hat auch ein massives Problem mit “Aus Prinzip”-Kryptobefürwortern, also Leuten, die Warnsignale ignorieren, sich an Scam-Produkten hochziehen und noch vor einem halben Jahr erzählt haben, jedes Business bräuchte jetzt sofort eine NFT-Strategie.
Wird die Web3-Revolution doch noch kommen? Keine Ahnung. Sie ist über das letzte Jahr sicher nicht wahrscheinlicher geworden.
Was wahrscheinlicher geworden ist: Dass jemand, der eine DAO o.ä. aufbauen möchte, in Zukunft darauf verzichten wird, irgendwelche Blockchain-Begriffe damit in Verbindung zu bringen.
2023 könnte das Jahr werden, in dem ein paar richtig coole Web3-Projekte gelaunched werden, diese aber aus Image-Gründen vermeiden, dabei über Web3 zu sprechen. Täte der Branche vielleicht ganz gut.
7. Ein TikTok-Verbot wird neu diskutiert
TikTok ist die beliebteste App der westlichen Jugend. TikTok ist außerdem die App,
deren User-Daten trotz wiederholten Versprechen in China gelandet sind
deren Mitarbeiter US-Journalisten ausspioniert haben
die als einzige große internationale Social Media-App noch in Russland aktiv ist
die Begriffe wie “LGBTQ” und “Arbeitslager” zensiert
die die Reichweite von chinesischen Staatsmedien gepushed hat
Angesichts der zunehmenden geopolitischen Spannungen wegen *gestikuliert herum* allem wird die TikTok-Frage neu diskutiert werden — vor allem in den USA, aber auch bei uns in Europa. Donald Trumps stümperhafter Plan, TikTok an eine US-Firma zu verkaufen, könnte TikTok indirekt sogar geholfen haben. Denn bei ihm klang “TikTok muss verkauft oder verboten werden” sehr viel abwegiger als der Gedanke eigentlich ist.
Außerdem
KI
Linus Le is Living with AI. every.to
A Generative Approach to Brand Strategy. addition.substack.com
7,480 images generated with DALL•E 2 prompts. generrated.com
About: Riffusion. riffusion.com
Content
Wie süchtig macht TikTok? br.de
The rebirth of magazines. therebooting.substack.com
In the Next Era of Social, Build Rituals, Not Habits. every.to
John Fetterman’s TikTok Whisperer. nytimes.com
Menschen und Maschinen
The indomitable human spirit. dirt.substack.com
🌻 same old. jasmine.substack.com
I’m a diagnosed sociopath. dirt.substack.com
Weihnachten macht keinen Sinn. taz.de
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