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Fünf Vorhersagen für 2024
Ich versuche, in meinen Prognose-Posts immer relativ spezifisch zu sein.
Nichts nervt mich mehr als Vorhersagen-Listen, die einfach nur den Status Quo runterbeten und mit Bangern auffahren wie “TikTok bleibt eine wichtige Plattform, um junge Leute zu erreichen.” Was du nicht sagst.
Ich versuche zumindest ein paar Big Swings. Vielleicht nicht ganz so big wie letztes Jahr. Aber trotzdem.
0. RECAP
MEINE VORHERSAGEN VON LETZTEM JAHR
1. Am Ende des Jahres reden wir über Mixed Reality
Falsch, aber ich hatte diese Prognose auch daran gekoppelt, dass Apple sein Headset 2023 veröffentlicht. Das ist nicht passiert. Also sollte ich vielleicht nicht zu hart zu mir sein. Mal sehen, ob das nächstes Jahr klappt.
2. Vertikale generative KI wird wichtig (Software, die sich auf eine bestimmte Branche konzentriert und sich dort an verschiedenen Punkten in die Produktionskette schaltet)
Wahr. Fast alle nennenswerten Startup-Geschichten des Jahres 2023 fallen in diese Kategorie. Erst vor ein paar Tagen hat die Jura-AI-Software Harvey bei einer Bewertung von fast einer Milliarde Dollar Investionen eingesammelt. Allerdings glaube ich heute etwas weniger an die Wichtigkeit dieser Programme als noch vor einem Jahr. GPT-4 kann so viele verschiedene Aufgaben direkt von Werk aus… in den meisten Berufen ist man aktuell am besten beraten, erstmal einfach mit einem Basismodell wie GPT-4 zu arbeiten statt auf eine spezialisierte Lösung zu warten.
3. Mehr BeReals (neue Social-Apps)
Wahr, aber ich weiß aber nicht, ob der Impact dieser Apps so groß war wie ich gedacht hätte. Threads, Partiful, Lemon8, Lapse waren die Interessantesten. Ich bin vor allem happy, dass BeReal noch existiert.
4. Schlechte Zeiten für billige Klicks
Wahr. 2023 war eine Katastrophe für digitale Medienmarken. Bye bye Vice, bye bye Buzzfeed News. Klicks und Ads zu monetarisieren wird immer schwerer.
5. Mehr komisches Verhalten bei jungen Leuten.
Falsch. Könnte nur ich sein, aber ich hatte das Gefühl, es gab dieses Jahr deutlich weniger Storys über die “verrückte Jugend” als noch 2021 und 22?
6. Web3-Projekte ohne Web3-Branding
Wahr. Und die Storys sind auch ganz Interessant. Die Krypto-App Blackbird zum Beispiel hatte ein komplettes Profile in der New York Times, ohne dass ein einziges Mal die Krypto-Connection erwähnt wurde.
7. Ein TikTok-Verbot wird neu diskutiert.
Wahr. Und wie.
Und damit… auf ins Jahr 2024:
1. AI-ILLUSTRATIONEN ENTDECKEN IHRE MINIMALISMUS-PHASE
Das hier ist halb Prognose und halb Hoffnung.
Denn ich wünsche mir einfach nur, dass ich 2024 solche Bilder nicht mehr sehen muss:
DALL-E 3, das aktuelle Text-zu-Bild-Tool von OpenAI, ist ein beeindruckendes Werkzeug. Es kann sehr komplexe Prompts ziemlich präzise umsetzen und ist easy über ChatGPT Plus bedienbar — kein Wunder, dass es zum neuen Go-To-Tool auf LinkedIn geworden ist.
Es gibt nur ein einziges Problem: Jedes mit DALL-E 3 generierte Bild sieht aus wie Arsch.
Man könnte der AI vorwerfen, dass sie nur klischeehafte Kopien erzeugen würde. Nur wüsste ich nicht mal, welcher Illustrationsstil so hässlich ist, dass DALL-E 3 ihn kopieren würde. Nein, es ist schlimmer: DALL-E 3 hat durchaus einen eigenen Stil — dieser Stil ist nur halt das Unästhetischste, was das ganze Jahr 2023 zu sehen war, und 2023 war immerhin das Jahr der Cargohose.
Ja, auch Midjourney v6 greift beim Prompt “make a futuristic image as an illustration for a newsletter post about tech and AI predictions for 2024” erstmal tief in die Klischeekiste… aber wenigstens sehen die Ergebnisse nicht aus wie als hätte ein Außerirdischer die Beschreibungen eines Siebenjährigen umgesetzt.
Spätestens nach dem Ausbrennen des “Make it More”-Trends wird es Zeit, den übelsten Instinkten von AI-Illustrationen entgegenzuwirken:
Weniger Überfrachtung und Maximalismus. Weniger generische Prompts und Styles. Und mehr gezielten Einsatz einer Wahnsinnstechnologie, die extrem gute Ergebnisse erzeugen kann, wenn man sie nur lässt.
Hier sind die ersten vier Midjourney-Vorschläge auf den Prompt “minimal, 1960s novel cover, art, an astronaut in space using a smartphone --ar 16:10 --v 6.0”.
More of this please.
2. DIE LAUTE AI-REVOLUTION WIRD ZU EINER LEISEN
Vielleicht kündigt OpenAI nächstes Jahr die Entwicklung von AGI an, Milliarden Jobs fallen weg, ein automatisierter Krieg bricht aus und Donald Trump erklärt sich per Hologramm zum Präsidenten.
Die Realität könnte sehr viel subtiler sein als das.
AI-Technologie ist jetzt schon so weit… Selbst wenn nie mehr einen Cent in neue Technologie gesteckt würde, wäre die Arbeitswelt für immer verändert. Der Bottleneck ist schon lange nicht mehr, was die Technologie kann. Sondern wo sie eingesetzt wird.
Ich halte es für gut möglich, dass 2024 nicht das Jahr der Announcements wird, sondern eher das Jahr der Implementierung.
Das heißt auch: Menschen, die AI unterschätzen, werden auf die Insolvenzen einzelner Startups zeigen, den Hype für vorbei erklären und sich in ihrer Ansicht bestätigt fühlen, dass dieser ganze Quatsch einfach wieder von alleine vorbeigeht.
Aber gleichzeitig wird AI (und insbesondere Large Language Models) die White-Collar-Arbeitswelt von innen verändern und Teile davon komplett umbauen. Menschen werden ihre eigenen Jobs teil-automatisieren, ohne dass es jemand merkt. Kaum ausgebildete Teams werden mithilfe von GPT-4 (oder einem Nachfolgemodell) in Stunden oder Tagen Projekte umsetzen, für die sie früher Wochen und einen Haufen Bachelor-Abschlüsse gebraucht hätten. Irgendjemand wird eine AI als Co-Founder für ein erfolgreiches Unternehmen einsetzen.
“Wir haben das schon immer so gemacht”-Organisationen werden sich in ihrer Arbeitsweise zunehmend von denen unterscheiden, die GPT-4 in ihre Prozesse und persönlichen Aufgaben integrieren. Das Gleiche gilt für Einzelpersonen.
Was ich mir gut vorstellen kann: Mitte 2024 wird jemand in einem prominenten Podcast oder einer Talkshow sitzen und über AI sprechen, als wäre das Thema over. Und keine Ahnung haben, dass um ihn herum sich gerade alles verändert.
3. MEHR MEDIEN-UNTERNEHMEN PARTNERN MIT TECH-UNTERNEHMEN
If you can’t beat them, join them.
Der Deal, den Axel Springer mit OpenAI gemacht hat, wird zu einer Blaupause werden.
Medienunternehmen haben institutionellen Support und Kredibilität (weniger als früher, aber trotzdem) und brauchen dringend Geld.
Techunternehmen haben mehr Geld, als sie ausgeben können und brauchen institutionellen Support und Kredibilität. Und sie haben es satt, wegen ihrer Datensätze verklagt zu werden.
Die letzten großen Technologie-Shifts (das Internet, Social, Mobile) waren für klassische Verlage und den Journalismus größtenteils ökonomische Katastrophen. Gut möglich, dass AI die nächste Katastrophe ist. Aber die Hochsprung-Stange hängt mittlerweile so tief, man hat fast nichts mehr zu verlieren, einfach drüberzuspringen und zu versuchen, diesmal von Anfang an dabei zu sein. Anstatt wieder ewig dagegen zu kämpfen.
Eine “Partnerschaft” in dem Sinne ist das natürlich nicht — dafür ist das Machtgefälle zu hoch. Der immer noch laufende Streit zwischen Kanada und Meta über die “Link Tax” zeigt ganz gut, dass Big Tech auch ohne Big Media kann, aber nicht andersrum.
Trotzdem, probieren kann man’s ja mal.
4. WEB3 KOMMT ZURÜCK (EIN BISSCHEN)
Das ist meine YOLO-Prognose, die ich mir gerne um die Ohren hauen lasse, wenn ich falsch liege. Ist mir aber lieber, als das Thema einfach komplett zu ignorieren (so wie es die meisten Tech-Autoren mittlerweile tun, auch die, die noch vor Kurzem über nichts anderes geschrieben haben 👀).
Das Problem mit Web3 war von Anfang an, dass es eine 10-Jahre-in-der-Zukunft-Vision war, die durch Nullzinsen, einer Lücke im Hype-Markt und inhärenten pyramidenförmigen Belohnungssystemen zu schnell zu groß wurde, und seine absurden Versprechen nicht mal im Ansatz realisieren konnte.
Dazu kam, dass NFT-Evangelists Unternehmen zwei Jahre lang einredeten, sie müssten sofort alles rumliegende Geld in irgendwelche Coins knallen, sonst hätten sie für immer abgekackt.
Und dazu kam, dass die Krypto-Mania zwischenzeitlich so absurd groß wurde, dass Betrüger quasi unbehelligt agieren konnten und jede Menge Geld verschwinden ließen. Reminder: FTX war am Ende des Tages ein relativ langweiliger Fall von Veruntreuung, der mit dem Produkt selbst nicht direkt etwas zu tun hatte.
Die Kryptowelt hat sich zwischen 2019 und 2022 pausenlos selbst ins Bein geschossen. Und jetzt muss sie auf einmal einen Marathon laufen. Klar wird das hart. Aber wird es unmöglich?
Ich habe nach wie vor keine Ahnung, ob die Prinzipien von Web3 — Blockchain, Tokens, Dezentralität — wirklich die Zukunft des Web sein werden. Ich glaube aber, dass einige der innerhalb dieses Ökosystems entwickelte Produkte und Technologien sehr sinnvolle Use Cases haben können. Allein die Idee eines unfälschbaren digitalen Assets (was ein NFT ursprünglich mal war) wird in Zeiten von AI-generierten Fälschungen sehr interessant.
5. X WIRD DIE LINKSPARTEI IM SOCIAL MEDIA-BUNDESTAG
Seitdem Elon Twitter gekauft hat, habe ich eigentlich nie über das Thema geschrieben.
Nicht aus irgendwelchen ideologischen Gründen.
Ich finde es einfach nur langweilig, berechenbar und irrelevant.
Ähnlich geht es mir jetzt mit den zahlreichen X-Konkurrenten. X und seine weniger Antisemitismus-geplagten Konkurrenten Threads, Bluesky, Mastodon und irgendein anderes Tool werden den Markt unter sich aufteilen, wie TikTok und seine weniger Antisemitismus-geplagten Konkurrenten Reels und YouTube Shorts den Markt für Kurzvideos unter sich aufteilen.
Nur haben TikTok, Reels und YouTube Shorts eine gewisse kulturelle Schlagkraft.
Der kulturelle Impact von Twitter war immer schon viel geringer als typische Twitter-User dachten. Nun, da die Plattform sich noch zusätzlich zersplittert, bleibt nichts mehr übrig, das den Schein beisammen halten kann.
Im Jahr 2023 hat die Linkspartei ihre ohnehin schon sehr wackelige Position im deutschen Bundestag auch noch verloren — weil sie endgültig auseinandergebrochen ist. Im Jahr 2024 wird das Gleiche mit X passieren.
Godspeed, Fraktionsstatus.
Author’s Note
Ich arbeite gerade in einem kleinen Team daran, den individuellen Nutzen von Large Language Models wie GPT-4 in den Arbeitsalltag zu bringen — und anstehende Veränderungen strategisch zu betrachten. AI hat keine Betriebungsanleitung — und sorgt damit für andere Herausforderungen (und Chancen) als klassische Software. Wenn dich das interessiert, ich bin per Email oder LinkedIn erreichbar, sag gerne Hallo!
Außerdem
My work
DER KI-PODCAST kommt live zum SWR Podcastfestival in Mannheim am 3. Februar! Wer vorbeischauen möchte — Tickets gibt es auf swr.de
Ich bin am 25. Januar auf der Bühne beim Medientrends 2024-Event in München. mediennetzwerk-bayern.de
AI und Text / Large Language Models
Backlash gegen Verlage, die ohne Kennzeichnung synthetische Inhalte online ausspielen. Für Love Brands ein Problem, vielen anderen wahrscheinlich wurst. adweek.com
Studie: Menschen bevorzugen Marketing-Copy, die von einer KI geschrieben wurde, außer man sagt ihnen, dass sie von einer KI geschrieben wurde. mit.edu
Ähnliche Ergebnisse bei dieser Studie rund um Strategy. hbr.org
Was wird aus Google Bard? every.to
AI und Arbeit
Die Bildungsplattform O’Reilly mit einer Bestandaufnahme über Generative AI in Betrieben. oreilly.com
Was wird im AI-Zeitalter aus White-Collar-Jobs? om.co
Assessing the Implications of a Productivity Miracle. bridgewater.com
AI und Bild/Video/Audio
Midjourney v6. venturebeat.com
Visual Electric — ein interessanter neues GenAI-Canvas-Tool. visualelectric.com
Channel 1 — ein AI-produzierter Nachrichtensender. deadline.com
Promis und ihre AI-Scams. robleathern.substack.com
Promis und ihre AI-Collabos mit YouTube und Meta. hollywoodreporter.com
AI und alles andere
Onlinehandel im Zeitalter von AI. a16z.com
AGI futures. roonscape.ai
Longread über die Tech-Grabenkämpfe hinter dem AI-Boom. nytimes.com
Was ist “Effective Accelerationism”? nytimes.com
Nicole Büttner über die vertane Chance des AI Act (Fokus auf Risiken statt Investionen). tech.eu
Content
Eine neue Dynamik auf Social Media sorgt für mehr Interaktion und Kollaboration. maried.substack.com
Silicon Valley, das Metaverse, Productivity-Apps und warum das alles nicht gut zusammenpasst. fastcompany.com
Kiss leben jetzt als Hologramme für immer weiter, wie Abba. bbc.com
Das Blutbad im Podcastmarkt. Vor allem eine US-Story, aber zunehmend auch eine bei uns. slate.com
Die 21 wichtigsten Memes 2023. rollingstone.com
How Twitter broke the news. theverge.com
Die Meta Ray-Ban-Smartbrille — early Kandidat für Breakout-Charakter 2024. twitter.com
Hausgemachte Sitcoms als TikTok-Strategie. omr.com
Dystopia
I Fact-Checked The Worst Video Essayist On YouTube. youtube.com
Stell dir vor, niemand will mehr auf Social Media sein, aber alle anderen sind halt da. bfi.uchicago.edu
TikTok, Israel und Antisemitismus. timesofisrael.com
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