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Die schlechteste Art, NFTs zu verstehen
In einem Podcast-Interview mit Impact Theory sprach Mark Zuckerberg vor ein paar Wochen über den Plan, in Instagram eine Schnittstelle für NFTs einzubauen. Obwohl die Technik noch nicht sehr ausgereift ist.
Hier seine Antwort:
This is just step one. I mean, it's a test on the path towards where we want to go. But fundamentally, we believe that this is going to be an important technological direction for the world and for the work that we're doing. I always believe that if you think that something is going to be important, find a way to start working on it.
Für Meta und Zuckerberg ist das eine relativ einleuchtende Herangehensweise. Die Herausforderungen für Zuckerbergs Metaverse-Mondfahrt sind nicht nur rein technischer Natur — sie bestehen auch darin, dass er damit im Sandkasten einer Branche spielt, in der dezentrale Machtstrukturen eine erhebliche Rolle spielen: Der Web3- und Blockchain-Welt.
In der Öffentlichkeit wird sein Metaverse-Plan aber immer wieder so wahrgenommen, als wolle Zuckerberg mit virtuellen Welten das machen, was er schon mit Social Media versucht hat: Alle wichtigen Kanäle unter einem proprietären Dach vereinen. Also das Gegenteil des eigentlichen Web3-Gedanken.
Für Meta, das gerne mehr Entwickler und weniger Kontroversen und Monopolismus-Vorwürfe hätte, ist das kein sehr feines Image. Lieber möchte man gesehen werden als ein Teamplayer — eine von vielen Marken, die mit an der Technologie der Zukunft feilt. Das ist auch der Grund, warum Meta immer wieder betont, das Metaverse könne gar nicht von einer einzelnen Firma gebaut werden. Und jetzt ist es halt der Grund, warum Meta es mit NFTs probiert.
Warum NFTs? Warum nicht DAOs oder irgendein DeFi-Produkt?
Die naheliegendste Erklärung ist tatsächlich die, die Mark Zuckerberg in seinem Zitat erklärt, auch wenn man sie ein bisschen verlängern kann. Er will irgendeine Web3-Schnittstelle in seinem Produkt haben, damit die Zukunft nicht davonläuft, und Image-NFTs sind das eine, was er gerade hinbekommt. Die geplante NFT-Implementierung ist ähnlich wie das, was auf Twitter schon seit letztem Jahr existiert, und eine relativ simple Angelegenheit. Man muss dafür das Design nicht ändern, man muss nicht die Struktur der App neu programmieren, man kann es einfach als einfach als kleinen schmückenden Web3-Stern auf die Spitze des Meta-Tannenbaums setzen. Strukturell ändern tut sich damit aber sicher nichts.
In diesem Text hier geht es aber nicht um Mark Zuckerberg.
1. Die schlechteste Art, NFTs zu verstehen
Es geht eher darum, dass einer der beliebtesten Marketing-Sprüche zu Web3-Themen (und konkret zu NFTs) so ähnlich klingt wie das was Zuckerberg sagt: “Am meisten lernt man, wenn man es einfach ausprobiert.”
Rund um Web3 und das Metaverse sind in den letzten zwei Jahren gigantische Marketing-Hype-Maschinen angelaufen, die so viel Bullshit in die Welt blasen, dass die Kohleindustrie vor Neid erstarrt. Das Web3 ist einem Proto-Proto-Stadium, und niemand weiß, wie es sich weiterentwickelt. Fast alle existierenden Web3-Produkte sind aktuell nicht mehr als stotternde Prototypen von dem, was sie einmal werden sollen. Noch schlimmer steht es um das Metaverse: Das existiert überhaupt nicht, es ist kaum eine Idee und 99,9% aller Menschen würden nichts verlieren, wenn sie den Begriff nicht einmal kennen würden.
Aber da gibt es diesen einen Vorschlag aus der Marketing/Agentur-Ecke, der doch total vernünftig klingt und sich meist an Brands oder mittelgroße Businesses richtet. Und der so vernünftig klingt. Weil er einfach nur sagt: “Wenn du Web3 verstehen willst, probier’s doch einfach mal aus. Minte ein NFT. Kaufe ein NFT. Dann verstehst du besser, was da passiert.”
Das klingt nach großartigem Advice.
Es ist aber Quatsch-Advice.
Und zwar nicht, weil NFTs keine gute Idee sind. Sondern weil sie nur eine Idee sind.
Sagen wir mal, wir folgen dem Ratschlag und erwerben im Jahre des Herrn 2022 ein NFT. Das heißt, wir müssen lediglich folgendes tun:
1. uns für eine von unzähligen Blockchains entscheiden, deren Unterschiede und Eigenschaften ganze Wikis fühlen und sich ständig ändern
2. eine mit dieser Blockchain kompatible Wallet einrichten und herausfinden was für steuerliche Implikationen das haben könnte
3. uns für einen NFT-Marktplatz oder unabhängigen Händler entscheiden
4. feststellen, dass der NFT-Markt ein an rein fiktionale Werte gebundener Gaudi-Markt ist, in dem Preise sich permanent scheinbar willkürlich verändern
5. uns für ein gutes NFT entscheiden (was auch immer das ist)
6. für dieses NFT horrende Summen an Gas Fees ausgeben
7. das NFT in unserer Wallet liegen haben und aufpassen, dass es uns nicht geklaut wird (was ständig passieren kann)
8. überlegen, was zur Hölle wir eigentlich damit machen wollen
Jemand, der ohne technische oder kulturelle Vorerfahrung im Jahr 2022 versucht, NFTs zu verstehen, indem er sich selbst eines kauft, wird zu dem Schluss kommen, NFTs seien eine überkomplizierte, überteure und vor allem nutzlose Technologie, die kein Mensch braucht.
Er hätte die gleiche Erfahrung wie jemand, der sich im Jahr 1980 einen Sinclair ZX80 kauft, um den “Cyberspace” zu verstehen:
Wenn Marketer und Tech-Evangelisten von Web3, NFTs und Metaverse schwärmen, als seien das bereits handfeste Produkte, für die selbst die popeligste Kirmes-Bäckerei umgehend eine Content-Strategie braucht, ist es völlig verständlich und gut, dass es darauf einen Backlash gibt (letzte Woche zum Beispiel in diesem RobBubble-Video dargestellt).
Doch das ändert nichts daran, dass die Ideen hinter diesen Konzepten valide sind. Und dass ihnen — zumindest aus mancher Sicht — recht wahrscheinlich die Zukunft gehört.
2. Eine bessere Art, NFTs zu verstehen
Es gibt aktuell drei gute Gründe, warum du ein NFT kaufen solltest:
Du möchtest mit irgendwas auf anlasslosen Gewinn spekulieren und die GameStop-Aktie bewegt sich zu langsam
Du bist Teil einer DAO oder eines anderen Web3-Projekts
Als Gag
Wenn dich keiner dieser Gründe anspricht: Bleib ruhig NFT-los.
Der Trick liegt eigentlich ganz woanders. Nämlich darin, zu verstehen, warum diese Technologie überhaupt gebraucht wird — und wie sie sich weiterentwickeln könnte.
Stell dir vor, du kaufst (oder baust) einen Tisch. Plötzlich stehen dir alle Optionen offen: Ob er ins Büro oder nach Hause kommt. In welchem Zimmer er landet. Bei wem du ihn im Reparaturfall reparieren lässt. Wie viele und welche Stühle du darum stellst. Und wer auf diesen Stühlen sitzen darf.
Das sind die Regeln unserer analogen Welt. So selbstverständlich, dass wir gar nicht darüber nachdenken.
Aber würde unsere analoge Welt so wie funktionieren wie unsere digitale, dann würde der Tisch nur in einem Raum funktionieren, er wäre nur kompatibel mit einer bestimmten Art von Stuhl und Gast, und vor allem: Wir würden ihn nicht einmal wirklich besitzen. Stattdessen würden wir eine regelmäßige Gebühr für die Nutzung unseres Loser-Tisches zahlen, entweder in Form von Euro oder in Form persönlicher Daten.
Eine solide Art, das Web3 zu verstehen, ist, dass digitale Gegenstände — wenn angebracht — dort nicht mehr an große Plattformen gekettet sind, sondern nur noch an das Internet selbst. Sie verhalten damit mehr wie analoge Gegenstände. Unsere Accounts, Domains, In-Game-Items, digitalen Kunstwerke und virtuellen Souvenirs erhalten zwei Dinge, die der analoge Tisch hat und die dem digitalen Tisch fehlen: Authentizität (es ist dieser Tisch und kein anderer, und das wird überall akzeptiert) und Knappheit (es gibt nur einen davon).
Der Gedanke, dass Computercode die “harten” Eigenschaften physischer Gegenstände bekommen wird, ist die — meiner Ansicht nach — quasi unausweichliche Weiterführung der Digitalisisierung.
In einem ziemlich beeindruckenden Leitartikel des Spiegels im Dezember 2021 stand folgendes:
Aber irgendwann, vielleicht 2050, wird das Metaversum eine Art Vollendung des Web. Nach dem web1: Websites und E-Mail, dem web2: soziale Netzwerke, dem web3: Dezentralisierung durch Blockchain, könnte es die vierte und dann höchstentwickelte Stufe werden. Im Fall seiner überzeugenden Realisierung wird es das Ende der Grenze zwischen analog und digital markieren, einen neuen Raum, der sich dem bisherigen Leben einfügen wird wie ein magisches Zimmer, in dem alles Vorstellbare und Unvorstellbare spukt: Supermarkt, Sportarena, Gym, Konzertsaal, Klassenzimmer, Kirche, Arztpraxis, Fabrik, Spiele inmitten von Dinosauriern, Pottwalen, Eisbergen.
Unwiderstehlich und erfolgreich wird das Metaversum vor allem deshalb sein, weil es die Frage beantwortet, um die sich Regierungen heute immer drücken und die in der Diskussion über den Klimaschutz bislang immer offen bleibt: wie denn ein lebenswertes Leben aussehen soll, wenn pro Kopf und Jahr nur noch ein, zwei Tonnen CO₂ anfallen dürfen. Das Metaversum kann die Antwort darauf sein.
Es wird selbst massenweise – grüne – Energie fressen, aber es könnte langfristig entscheidend dabei helfen, den Wahnsinn der analogen Überproduktion zu beenden, weil die Gelüste nach Must-have-Taschen und Wegwerf-T-Shirts, nach einem Schrank voller Sneakers und schicken Klamotten künftig eben dort, im virtuellen Raum, befriedigt werden. Das kann nicht sein? Das fängt längst an.
Computercode zum Flexen, zum Tauschen, zum Knuddeln… Er wird kommen. Und NFTs, wie sie jetzt existieren, sind schlicht und einfach das nächstbeste, was wir aktuell zu dieser Vision haben.
3. Die schlechteste Art, SMS zu verstehen
Ich habe den folgenden Sketch aus dem Jahr 2004 geschätzt dreihundertmal gesehen.
Du musst es nur einmal tun (das aber wirklich).
Der Reiz dieses Videos ist fast unmöglich in Worte zu fassen, aber wenn du das Video aus irgendeinem Grund nicht sehen kannst oder willst: Der Gag ist: SMS waren 2004 zwar irgendwie neu und cool, aber super kompliziert, umständlich, teuer und sinnlos.
Dieses wunderbare Video zeigt uns: Als die Gegenwart noch die Zukunft war, war sie in der Regel noch ziemlich kacke.
Kein Wunder, dass fast kein einziges Detail mehr stimmt:
“Text Messaging” heißt heute “Texting” oder einfach nur “Schreiben”
Statt SMS-Kanälen nutzen wir internet-basierte Messenger
Es gibt keine Zeichenlimits mehr
Unsere Geräte sehen anders aus, funktionieren anders und lassen sich anders bedienen
Auto-Correct schlägt uns keine finsteren Wörter mehr vor
Aber trotzdem: Die Sache, über die sich dieser Sketch so lustig macht, ist heute weltweit Alltag.
Was vor 18 Jahren ein Sketch über SMS war, ist heute vielleicht ein Sketch über Krypto. Und sollte Krypto die gleiche Entwicklung durchmachen wie Text Messaging in den letzten 18 Jahren, dann weiß niemand, wo wir am Ende rauskommen. Wie die Technologie heißen wird, wie sie genau funktionieren wird, auf welchen Oberflächen wir damit interagieren werden.
Es gibt heute schon viele spannende Projekte (die meisten davon sind DAOs), die versuchen, sich dieser Zukunft anzunähern. Doch die Vernünftigen von ihnen gehen offen damit um, dass es sich hier um Experimente mit unklarem Ausgang handelt. Web3-Autor Packy McCormick bezeichnet sogar Web3 an sich als “complexity economics simulation played out with real human agents and real money”.
NFTs, DAOs und alles andere sind aktuell vor allem eine Simulation. Ein “Was wäre wenn”. Das macht sie einerseits zu einem der spannendsten Technologiefelder. Aber auch zu einem der frustrierendsten. Und vor allem zu einem, dem man sich am besten nicht sofort übers Ausprobieren nähert. Sondern übers Lernen und Verstehen.
Further Reading
Web3-Optimismus. coolgenug.de
Ist Krypto die Zukunft? coolgenug.de
Das offensichtliche Problem des Internets. coolgenug.de
NFT Unpack. profgalloway.com
Außerdem
Philipp Westermeyer: State of the German Internet. youtube.com
Trends are dead. vox.com
Can Seth Green Still Make His NFT Show if His Bored Ape Was Stolen? decrypt.co
What’s going on with record labels and “viral” TikTok moments? nylon.com
Are we post-platform? dirt.substack.com
How “Dirt” Uses NFTs to Close the Loop Between Commerce and Subscriptions. adweek.com
Taking a Break from Social Media Makes you Happier and Less Anxious. calnewport.com
Tokengated Commerce. notboring.co
What were the 2000s? maxread.substack.com
People are getting tired of the 'TikTok music formula' nbcnews.com
Outhorse your email. visiticeland.com
Die gute Seite
Nicht die Art von Content, die ich hier normalerweise empfehle.
Einfach nur die erste Single der noch ultra-unbekannten Hamburger Bedroom-Pop-Band Willow Parlo — und ein traumgleich flüchtiger, wunderschöner Song, in dem jede Minute besser ist als die davor. Dieses Lied ist, unironisch, eine Journey.
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