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Die perfekte Geschichte
1. HYPERPERSONALISIERTES STORYTELLING
Menschen lieben Geschichten. Wir selbst sind die Helden unserer eigenen Abenteuer, unsere Vorhaben und Träume die hehren Ziele eines Protagonisten. Wer uns dabei unterstützt, ist unser Verbündeter. Was dabei im Weg steht, ein Hindernis. Und wer es wagt, unser Weltbild in Frage zu stellen, den bekämpfen wir als seien wir Harry Potter und der Zweifler Voldemort.
Und was begegnet uns auf dem Pfad unserer Geschichte? Natürlich unzählige andere Geschichten. Dramapaare im Reality-TV, komplexe Antihelden in TV-Serien, die Anekdote unseres Mitbewohner, wie er einmal heimlich im Garten seines Onkels Cannabis angebaut hat… Alles hat das gleiche Potential, uns mitzureißen und mitzunehmen.
Unzählige Bücher wurden darüber geschrieben, wie man gute Geschichten erzählt… Letztlich folgen alle derselben Regel: Wir möchten unbedingt wissen, wie es weitergeht.
Nur wie geht es mit dem Geschichtenerzählen selbst weiter?
Storytelling war schon immer den medialen Formen unterworfen, in denen es stattfand. Serienfolgen sind 45 Minuten lang, weil das in einer TV-Stunde 15 Minuten Platz für Werbung lässt. Lange Buchreihen wurden in mehreren Bänden verkauft, weil es unpraktisch wäre, einen gigantischen Wälzer mitherumzuschleppen.
Und manche sehen schon die nächste Revolution um die Ecke liegen:
Personalisiertes Storytelling von künstlicher Intelligenz.
Dieser Tweet fasst die Idee zusammen:
Auf den ersten Blick leuchtet das ein. Menschen richten ihre Wohnungen individuell ein, ziehen sich individuell an und haben individuelle Homescreens auf dem Smartphone. Warum sollten sie nicht auch individuelles Storytelling konsumieren, perfekt für uns gemacht?
Die Antwort ist: Weil Storytelling nicht so funktioniert.
Ja, Storytelling wird sich verändern. Aber wer glaubt, dass Hyperpersonalisierung die Zukunft von Entertainment ist… Der versteht nicht, warum Menschen eigentlich Filme und Serien schauen, warum sie Bücher lesen und Musik hören.
2. POPMUSIK
Das hier ist eines meiner liebsten YouTube-Videos.
Es ist ein Ausschnitt aus der 50-Jahre-Jubiläumsfolge der britischen Science-Fiction-Serie Doctor Who. Man muss nicht verstehen, was genau in der Szene passiert. Man muss nur dabei zusehen, wie die Fans drumherum auf das Geschehen reagieren. Und vielleicht wissen, dass ich, als großer Doctor Who-Fan damals genau gleich reagiert habe, als die Folge lief.
Was macht dieses Video so magisch? Nicht dass all diese Fans so durchdrehen. Sondern dass sie es zusammen tun. Sie sind zwar durch Raum und Zeit getrennt… alle nehmen ihre Videos separat auf. Und doch erleben sie alle die gleiche Geschichte. Zusammen.
Jede Serie hat ihre Reddit-Community, jeder YouTube-Creator seine Kommentare, jede Reality-Show ihre WhatsApp-Gruppen. Das Internet hat die gemeinsame popkulturelle Erfahrung zur Norm gemacht. Selbst zur obskursten Serie finde ich Gleichgesinnte, die davon genauso obsessed sind wie ich.
Wird generative KI tatsächlich einmal so gut sein, dass sie auf Anhieb einen Stirb Langsam-Abklatsch mit Humphrey Bogart generiert? Vielleicht. Keine ernsthafte Person kann das heute mit Sicherheit sagen.
Das Problem ist ein anderes: Selbst wenn ich diesen Film schauen könnte, ich wäre der einzige. Es gäbe niemanden, mit dem ich Theorien und Gedanken austauschen könnte. Es wäre eine einsame und traurige Erfahrung.
Die letzte Serie, die meine Frau und ich angefangen haben, war The White Lotus. Haben wir das getan, weil wir alle verfügbaren Serien exakt analysiert haben und festgestellt, dass The White Lotus am ehesten unserem perfekt ausdefinierten Geschmack entspricht? Natürlich nicht. Wir haben damit angefangen, weil alle möglichen Leute in unserem Freundeskreis sich darüber den Mund fusselig reden und wir wissen wollten warum…
Es ist wie in der Musik. Die bloße Existenz von beliebter Musik ist genug, dass sich Leute dafür interessieren. Weil sie uns mit anderen Menschen verbindet.
Mit Büchern, Filmen und Serien ist es nicht anders.
In seinem Erfahrungsbericht Worldbuilding with GPT teilt Entwickler Ian Bicking seine Versuche, mit Künstlicher Intelligenz eine fiktionale Welt zu erstellen — samt fiktionaler Bevölkerung.
Die Ergebnisse sind teilweise beachtlich — obwohl die Technologie noch einige Schwächen hat (z.B. dass sie dazu neigt, alles zu normal, zu westlich, zu modern und zu nobel zu machen). Aber selbst wenn es einen Weg um diese Schwächen herum gäbe… Eine von mir generierte Welt, von der nur ich weiß, bleibt einsam. Egal, wie groß ihre virtuelle Bevölkerung ist.
3. HALBPERSONALISIERTES STORYTELLING
Wer ein besseres Gefühl dafür bekommen möchte, wie künstliche Intelligenz das Konsumverhalten bei Entertainment verändern kann, der kann sich die zwei großen Zukunftsinkubatoren der Welt anschauen:
Videospiele und Korea.
Die größten Videospiel-Hits der letzten Jahre haben immer öfter eines gemeinsam: Sie enthalten zwar eine Story, überlassen es jedoch dem Spieler, in welcher Reihenfolge und Weise er diese entdeckt. Spiele wie Red Dead Redemption 2, Elden Ring und Hogwarts: Legacy geben dem Spieler größtenteils selbst die Aufgabe in die Hand, ihre Welt zu erkunden. Sie geben Hinweise und machen Vorschläge, doch man ist nicht unbedingt daran gebunden, diesen zu folgen.
Keith Stuart beschreibt das Prinzip für den Guardian so:
The player has to do most of the work in assembling a cogent narrative, which suited me fine, because, through the 200-hours I’ve spent with the game, I simply do not care about the plot – I have my own. I wander the dangerous lands of Caelid and Dragonbarrow as an existential assassin, like Clint Eastwood in High Plains Drifter or Mad Max, not bothering to try and make sense of the world, just keen to explore and fight and survive.
Diese Art von Geschichtenerzählen ist einerseits personalisiert, andererseits aber perfekt für den Austausch mit anderen Menschen: Wer hat welches Geheimnis entdeckt? Auf welchem Teil der Map verstecken sich Schätze? Welche Waffe sollte man am besten einsammeln, um den großen Bossgegner zu besiegen?
In Südkorea werden gerade ähnliche Prinzipien erprobt — und zwar im K-Pop. K-Pop-Fans bekommen nicht nur Musik und Musikvideos vorgesetzt, sondern ein Always-On-Entertainment-Programm mit personalisierten Avataren, Fan-Communities und Metaverse-Integration. In einem K-Pop-Fandom ist zwar jeder Fan derselben Gruppe. Aber jeder auf seine Weise.
Generative KI wird es zweifellos leichter machen, Videospiele, Filme, Serien und jede andere Form von Storytelling mit Leben zu füllen. Doch sobald sie ihr Publikum in Individuen zerteilt, tut sie nicht mehr ihren Job.
Das Storytelling der Zukunft wird wohl auch einen explorativen Charakter haben. Erfahrungen wie das immersive Theaterstück The Burnt City, durch das man hindurchgehen kann, um seine eigene Geschichte zu entdecken, können hier als Vorbilder dienen.
Doch Hyperpersonalisierung wird es im Entertainment-Bereich immer schwer haben.
Zumindest solange wir noch menschlich sind.
Außerdem
KI-Anwendungen
Virales Papst-Foto ist Fake: So täuscht künstliche Intelligenz. br.de
GPT-4 Turkish Carpet Salesman. aiadventure.spiel.com
ChatGPT comes for radio. theverge.com
Es schimmert, es glüht, es funkelt – Zur Ästhetik der KI-Bilder. 54books.de
So gut taugt ChatGPT als Reiseleiter. br.de
Venezuela Is Using Fake AI American Newscasters to Spread Disinformation. vice.com
KI-Hintergrund
Die sogenannte Gegenwart: Ich bin doch selber nur Software. podcast spotify
What Facebook criticism can teach us about A.I. criticism. maxread.substack.com
Automation has already taken our jobs. thepost.org
The secret history of Elon Musk, Sam Altman, and OpenAI. semafor.com
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Drohendes Verbot: Sind die Tage von TikTok gezählt? br.de
What the U.S. can learn from India’s TikTok ban. restofworld.org
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