AI-Optimismus als Strategie
Mein Bot, dein Bot, alle Bots
Nächste Woche, am 19.11., erscheint mein Buch Wir, aber besser im November 2025 als Paperback, E-Book und Hörbuchdownload!
Ich freue mich über dein Interesse, solltest du welches haben.
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Das Buch zeichnet ein optimistisches Bild der KI-Revolution – und genau darum dreht sich auch der heutige Text.
AI-Optimismus als Strategie
1 FENNOS PARADOX
Im Jahr 1975 veröffentlichte der amerikanische Politikwissenschaftler Richard Fenno ein Essay mit dem langen, aber präzisen Titel: „If, as Ralph Nader Says, Congress Is ‘The Broken Branch,’ How Come We Love Our Congressmen So Much?“
Darin beschrieb er ein interessantes Phänomen:
Die US-amerikanischen Bürger sind notorisch unzufrieden mit den Abgeordneten im Kongress und wünschen sich Veränderung.
Gleichzeitig sind sie aber in der Regel sehr zufrieden mit dem Abgeordneten, der ihren Wahlkreis vertritt.
Deshalb stimmen die Wähler immer wieder für “ihren” Abgeordneten ab und stellen so sicher, dass sich nichts am Kongress verändert.
Im Jahr 1979 wurde dieser Sachverhalt zum ersten Mal als “Fennos Paradox” bezeichnet.
Irgendwann zwischen den Jahren 2015 und 2025 las ich irgendwo von diesem Phänomen, vergaß aber kurz darauf seinen Namen.
Vor einigen Wochen kam mir die Idee zu dem nachfolgenden Text und ich erinnerte mich wieder an diese Sache. “Wie nennt man nochmal dieses Phänomen, dass Leute den Kongress doof finden, aber ihren eigenen Abgeordneten gut?” fragte ich mich. Googlen kann man diese Frage schlecht. Aber man kann Claude fragen.
Wie so oft zeigt sich die Stärke eines Sprachmodells wie Claude hier in “unscharfen” Antworten – beim Bearbeiten von Aufgaben, deren Ausgang im Voraus unklar ist.
Wie Marie Dollé schreibt:
AI is not here to augment us, much less to replace us. Its most valuable role lies elsewhere: making the invisible visible. The invisible structures and correlations of the world. But also the invisible within ourselves: our intuitions, our blind spots, everything we sensed without being able to name.
Hier liegt die große Stärke von Sprachmodellen: Sie geben dem Flüchtigen eine Form. Sie verwandeln das Unausgesprochene in Wörter, auch wenn man diese später noch bearbeiten muss. Sie geben uns eine Basis, auf die man sich stellen und weiterarbeiten kann.
Gerade in den letzten Wochen ist mir immer wieder aufgefallen, wie selbstverständlich ich mich auf den Output von Claude verlasse. Die “Memory”-Funktion funktioniert erstaunlich gut und viel robuster als zuletzt in ChatGPT. Sogar das Durchsuchen und Interpretieren von Kalenderdaten funktioniert mittlerweile richtig gut:
Mein eigener Chatbot funktioniert super. Er hilft mir weiter, er inspiriert mich, er übernimmt eine immer längere Liste von Aufgaben.
Ich würde ihn jederzeit wieder wählen.
Aber was ist mit dem Rest der Welt? Was ist mit all den anderen Chatbots und AI-Tools? Was ist mit der AI-Revolution an sich?
Die hat einen etwas schwereren Stand:
AI is going to wipe out at least 25 million jobs in the next 5 to 10 years. Probably much more. It will destroy every creative field. It will make it impossible to discern reality from fiction. It will absolutely obliterate what’s left of the education system. Kids will go through 12 years of grade school and learn absolutely nothing. […] We’re sleepwalking into a dystopia that any rational person can see from miles away. It drives me nuts. Are we really just going to lie down and let AI take everything from us? Is that the plan?
Das schreibt der rechte Kulturkämpfer Matt Walsh diese Woche auf X. Besonders interessant ist, von wem er dabei Zuspruch erhält: Sowohl Ryan Grim, ein links-progressiver Journalist, als auch Tim Miller, ein moderater Never-Trump-Republikaner, stimmen ihm zu. Miller ergänzt das Ganze mit dem Hinweis: “Never happens!”
In Walshs Worten liegt eine latente Verzweiflung; er beschreibt AI wie eine nahende Naturkatastrophe, wie den Meteoriten im Film Don’t Look Up, der eine apathische Menschheit zerstört. Seine Hoffnung liegt in einer politischen Antwort: Walsh, Grim und Miller schreiben aus den USA – einem Land, in dem die wichtigsten AI-Systeme unserer Zeit zwar gebaut und gelaunched, aber kaum reguliert werden.
In Europa wird AI durchaus reguliert – viele der größten Ängste rund um Manipulation und Massenüberwachung werden vom AI Act und anderen Verordnungen aufgegriffen. Dafür bauen wir die Systeme nicht selbst – wir hängen die meiste Zeit an dem, was die Amerikaner und Chinesen uns zur Verfügung stellen.
Und deshalb kommt auch uns die Katastrophen-Sprache bekannt vor. Auch wir sprechen über AI vor allem in negativen Tönen: AI stärkt die Macht von Big Tech. AI gefährdet Arbeitsplätze und die Demokratie. AI macht uns abhängig. Und das alles rauscht auf uns zu wie eine finstere Flutwelle.
Vielleicht ist das die AI-Version von “Fennos Paradox”:
Individuell finden wir AI super. Wir lieben unseren Chatbot, der uns unterstützt. Aber wir machen uns Sorgen über AI für jedermann.
2 KRITISCH DENKEN
Dass ich ein explizit AI-optimistisches Buch geschrieben habe, erscheint mir vor allem in diesen Tagen wie ein etwas gewagtes Statement. Vermutlich wäre es einfacher gewesen, ein Katastrophen-Buch zu schreiben.
Aber ich glaube wirklich: Optimismus ist nicht nur die romantischere Entscheidung. Sondern auch die bessere.
Das Gegenstück dazu, AI-Pessimismus, äußert sich immer wieder in Meldungen wie diesem Artikel.
Es scheint eine ziemliche Nachfrage nach “AI macht uns dümmer”-Stories zu geben – zumindest erscheinen ständig neue.
Und tatsächlich… In der Studie fanden Forscher heraus: Wenn man bei bestimmten Aufgaben besonders auf die Outputs der AI vertraut, dann sinkt dabei unsere kritische Reflexion.
Dieses Phänomen zeigt sich aber nur in Bezug auf einzelne konkrete Aufgaben, nicht auf das Vertrauen in AI allgemein:
“We did not find a significant correlation between knowledge workers’ overall trust in GenAI and their perceived enaction of critical thinking.”
Und noch etwas: Menschen, die ein hohes Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten mitbringen, zeigen bei der AI-Nutzung mehr kritisches Denken.
Wir lernen: Wenn wir unsere eigenen Fähigkeiten pflegen, wenn wir ambitioniert bleiben und ein gesundes Vertrauen in uns selbst aufbauen… Dann ist AI keine Gefahr für unser kritisches Denken. Sie ist im Gegenteil ein Werkzeug, das unser kritisches Denken zusätzlich skaliert.
AI-Kompetenz beginnt mit Selbstkompetenz.
Wer viel mit AI arbeitet, der weiß das intuitiv. Erst vor Kurzem zeigte eine Befragung von YouGov: Diejenigen, die am wenigsten mit AI arbeiten, sind die, die sich im Job von AI am meisten bedroht fühlen. Und andersherum.
Wer viel mit AI arbeitet, wer sich wirklich intensiv mit der Technologie beschäftigt, der kommt in der Regel zu klareren Erkenntnissen darüber, was AI kann und was nicht. Und natürlich darüber, wie schnell sich das alles wirklich entwickelt. Und so erhält man Handlungsfähigkeit. Individuelle Macht.
Ein schneller Zug ist in der Regel nur dann gefährlich, wenn man nicht drin sitzt.
3 OPTIMISTISCH DENKEN
Seine Heiligkeit und Social Media-User Papst Leo XIV fand vor einer Woche klare Worte zur Debatte um AI.
Venture Capitalist Marc Andreessen interpretierte die Aussage “Technologie sollte ethische Grundsätze respektieren” als Angriff auf sich selbst (which tells you a lot).
Aber Papst Leos Statement sollte uns alle ansprechen. Denn AI entsteht nicht nur im Silicon Valley und Shenzhen, sie entsteht auch in unseren Laptops, Smartphones und Kopfhörern. Einer der größten Vorteile von Chatbots gegenüber TikTok und anderen Brainrot-Scroll-Feeds ist ihre Individualisierbarkeit: Ich kann selbst darüber entscheiden, wie sich mein Bot verhalten soll. Ich bin nicht einfach einem endlosen Stream von Content ausgeliefert. Die AI reagiert nur auf mich. Jeder Prompt ist ein Stück AI-Entwicklung.
AI ist eben keine Naturkatastrophe, die über machtlose Menschen hinwegrollt. Sie ist eine Technologie, die wir erschaffen, jedes Mal, wenn wir sie benutzen. Gerade deshalb ist es so wichtig, dieses Thema nicht aus der Hand zu geben. AI geht jeden an, der einen Computer hat. Jeden, der menschlich denkt.
In meinen AI-Beratungen und Projekten stoße ich immer wieder auf dieselben zwei “AI-kritischen” Aussagen:
Auf der einen Seite kommen Anekdoten über schlechte Antworten, Halluzinationen, manchmal auch wackelige Studien über die Nutzlosigkeit der Technologie. Oft haben Leute auch vor zwei Jahren einmal etwas ausprobiert, es hat nicht funktioniert und sie haben sich seitdem nie mehr damit beschäftigt. (Das ist oft ein großer Fehler, “Notion AI” war vor einem Jahr noch komplett nutzlos und seit der Einführung von Agents ist es eines der besten AI-Tools, das ich kenne).
Und auf der anderen Seite spürt man Unsicherheit über Jobverlust. Die Angst, dass die Fähigkeiten der AI vielleicht zu gut sein könnten und man auf manche Frage lieber keine Antwort haben will.
Beide Einschätzungen haben dieselbe Folge: Man kommt nicht voran.
Das Hufeisen der AI-Blockade.
Aber AI ist eben keine Technologie, die besser oder schlechter ist als wir.
AI ist eine Technologie mit dem Potenzial, unsere eigene Intelligenz besser oder schlechter zu machen.
Und genau deshalb brauchen wir Optimismus. Wir brauchen ein positives Bild der AI-Nutzung. Nicht wegen der AI. Sondern wegen uns. Damit wir nicht schon wieder in die Passivität rutschen, sondern die Technologie aktiv gestalten. Denn (wie Papst Leo richtig anmerkt) bekommen wir die Entscheidungen rund um diese Technologie wieder selbst zu spüren.
So lässt sich Fennos Paradox Stück für Stück lösen.
Wenn alle Wähler super Abgeordnete wählen würden… dann hätten wir ein super Parlament.
Und wenn die Entwickler, Verantwortlichen und Nutzer ihre AI mit Bedacht, Bewusstsein und Selbstvertrauen entwickeln… dann hat sich der Optimismus auch gelohnt.
Mein Sachbuch Wir, aber besser erscheint am 19. November 2025 als Paperback, E-Book und Hörbuchdownload.
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AT FREIBURG UND UMGEBUNG:
Am 25.11.2025 lese ich in der Buchhandlung Rombach, Freiburg aus meinem Buch und mache zusätzlich ein kleines interaktives Programm.
Ich freu mich übers Vorbeischauen!
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Außerdem
Portfolio
Der KI-Podcast (ARD) – der wöchentliche Podcast von Fritz, Marie und mir auf Spotify. open.spotify.com Mit aktuellen Folgen zur Zukunft des Internets und KI-gestützter Forschung.
Der KI-Podcast (ARD) – der wöchentliche Podcast von Fritz, Marie und mir in der ARD Audiothek. ardaudiothek.de
AI und Text / Sprachmodelle
Writing for the AIs. astralcodexten.com
Blurred by You. maried.substack.com
In a First, AI Models Analyze Language As Well As a Human Expert. quantamagazine.org
GEO Platform Shutdown Sparks Industry Debate Over AI Search. searchenginejournal.com
Inside the AI Village Where Top Chatbots Collaborate—and Compete. time.com
AI und Arbeit
AI Has Flipped Software Development. lukew.com
History suggests the AI backlash will fail. transformernews.ai
Wharton-Report zur Nutzung von AI in Unternehmen – deutlich robustere Daten als die immer noch sehr dünne “95%”-MIT-Studie. knowledge.wharton.upenn.edu
Inside the race to train AI robots how to act human in the real world. latimes.com
AI und Bild/Video/Audio
Billboard Says at Least One AI‑Generated “Artist” Is Charting Every Week Now. futurism.com
Meta’s AI Video App Is Full of What I’m Calling ‘Boomerslop’. businessinsider.com
xAI used employee biometric data to train Elon Musk’s AI girlfriend. theverge.com
AI und alles andere
The Benefits of Bubbles. stratechery.com
EU weighs pausing parts of landmark AI Act in face of US Big Tech pressure. reuters.com
Content
The internet wants to be fragmented. noahpinion.blog
The Authenticity Delusion. eugenehealey.substack.com
The New Conspiracy Age. technologyreview.com
Verteidigungsanwälte rekrutieren gezielt True-Crime-YouTuber und deren Fanbase, um vor Gerichtsurteilen öffentlichen Druck aufzubauen und Zeugen einzuschüchtern – eine Strategie, die das Justizsystem untergräbt und aus Strafverfahren Content-Kriege macht. piratewires.com
How to end your extremely online era. tommydixon.ca
Tech
Norweger stellen fest, dass China 850 ihrer Elektrobusse fernsteuern und sogar stoppen kann. focus.de
Europeans, You Need Silicon Valley, But Silicon Valley Doesn’t Need You. dadalogue.substack.com
Meta is earning a fortune on a deluge of fraudulent ads, documents show. reuters.com
Rise of the ‘porno‑trolls’: how one porn platform made millions suing its viewers. theguardian.com
Culture
It’s Time to Retire the Term ‘Toxic Masculinity’. gq.com
The Bloomers’ Paradox. astralcodexten.com
Friction: The Cure for a Society Bored to Death. eugenehealey.substack.com
Side Quests
Paris Had a Moving Sidewalk in 1900, and a Thomas Edison Film Captured It in Action. openculture.com
a theory of mine is that social media has completely broken the mind of Gen Z and millennials when it comes to work. x.com
Why aren’t smart people happier? theseedsofscience.pub
They Die Every Day. theintrinsicperspective.com
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